- Anzeige -
Gynäkologie

Entwicklungsbiologie und Aneuploidie

Molekulare Ursachen von Unfruchtbarkeit und Fehlgeburt

Dr. Klaus Dallibor

3.7.2022

Menschliche Eizellen werden nicht selten durch Aneuploidie geschädigt – instabile oder in unphysiologischer Anzahl auftretende Chromosomen. Aktuelle Erkenntnisse zu den molekularen Grundlagen könnten jetzt zu neuen Therapieansätzen führen.

Die Keimzellreifung von Oogonien über Oozyten zur Eizelle und von Spermatogonien über Spermatozyten und Spermatiden zu Spermien verläuft über eine Vermehrungsphase (Mitose) der Stammzellen, gefolgt von zwei meiotischen Reifeteilungen. Im ersten Teil haben beide Keimzelltypen 44 Chromosomen samt den unterschiedlichen Heterochromosomen (XX beim weiblichen Partner, beim männlichen YX). In der Meiose halbiert sich der Satz auf die Hälfte, weil sonst der Chromosomensatz nach der Fusion mit der jeweils anderen Zelle verdoppelt würde. So wird sichergestellt, dass Mutter und Vater das Erbgut dem Nachwuchs jeweils hälftig zur ­Verfügung stellen (> Schwangerschaft).


Maßgeblich: das „Motorprotein“ KIFC1

Und genau dieser hochkomplexe Reifungsprozess über hypophysengesteuerte Hormone soll aktuellen Forschungsergebnissen zufolge beim Menschen, nicht aber bei anderen Säugern wie Rind, Schwein, Maus, massiv störanfällig sein. Als Folge können Chromosomenaberrationen, Unfruchtbarkeit und Fehlgeburten auftreten. Die an den Polen häufig fehlerhafte, instabile Spindelbildung bei menschlichen Eizellen ist nach Darstellung von Dr. Melina Schuh, Leibniz-Preisträgerin, Direktorin am Göttinger Max-Planck-Institut (MPI) und Leiterin der dortigen Abtei­lung „Meiose“, seit Langem bekannt. Solche labilen Spindeln ordnen die Chromosomen bei der Zellteilung falsch an oder bringen sie durcheinander. Die Spindeln anderer Säugetier-Oozyten waren in den Experimenten (dagegen) sehr stabil [1]. Die Göttinger Forscher untersuchten das für die Spindelstabilität erforderliche molekulare Protein-Inventar in unterschiedlichen Säuger-Oozyten. Sie nutzten dazu unbefruchtete, unreife menschliche Eizellen, die Frauen der englischen Bourn Hall Clinic, des Kinderwunschzentrums Göttingen und des Fruchtbarkeitscenters Berlin gespendet hatten, und verglichen sie mit Oozyten von Rindern und Mäusen (Abb.).

Dabei zeigte sich, dass menschliche Oozyten im Vergleich zu anderen Säugern nur geringe Mengen des Eiweißstoffs KIFC1 (kinesin superfamily protein C1) besitzen, der als „Motorprotein“ dazu beiträgt, ­Brücken zwischen den Spindeln zum Zwecke der physiologischen Ausrichtung der Spindelfasern herzustellen. Zur Überprüfung der Ergebnisse entfernten sie ferner das entscheidende Protein aus den Rinder- und Mäuse-Oozyten. Ohne das Motorprotein bildeten auch derart behandelte Oozyten instabile Spindeln. Zudem traten mehr Fehler bei der Chromosomentrennung auf. Diese Ergebnisse legen nahe, dass KIFC1 entscheidend dazu beiträgt, Chromosomen bei der Meiose fehlerfrei zu verteilen [2].

„Trim Away“ einzelner Proteine

Die relativ schnellen Forschungserfolge sind nicht zuletzt einer in Göttingen entwickelten Methode („Trim-Away“) geschuldet, mit der nahezu jedes Zielprotein schnell aus jedem Zelltyp abgebaut ­werden kann. Somit stellt sich die Frage, ob mit diesem Ins­trument auch in menschlichen Eizellen die fehlerhafte Chromosomentrennung behoben werden kann. Mikroskopische Beobachtungen lassen dies vermuten, denn bei zusätzlicher Gabe des Proteins KIFC1 waren die Spindeln „deutlich intakter“, und die Trennung der Chromosomen erbrachte weniger Probleme. Das Einbringen von KIFC1 in menschliche Oozyten ist somit nach Ansicht der MPI-Direktorin ein möglicher Ansatz, um Fehler in Eizellen zu reduzieren: „Dies könnte dazu beitragen, Kinderwunschbehandlungen erfolgreicher zu machen.“

Reproduktionsmedizinische Ansätze

Voraussetzung für Strategien zu einer assistierten Reproduktionstechnologie sind jedoch weitere Kenntnisse über die Wirkungsweise und Lokalisation von Spindelproteinen – insbesondere hinsichtlich der Organisation der Spindelpole und der genauen molekularen Ursachen ihrer Instabilität in menschlichen Oozyten. Die Spindelpole benötigen zur Ausführung ihrer Funktionen die Bündelung der parallelen Mikrotuben durch „microtubule cross-linking proteins“ und zusätzlich die Stabilisierung und Verankerung der Mikrotuben-Minusenden in den Spindelpolregionen mithilfe von spezifischen Bindungsproteinen.

Ein solches Bindungsprotein namens NUMA (nuclear mitotic apparatus protein) ist an den Minusenden lokalisiert. Dort organisieren diese Proteine einen molekularen Motor (genannt Dynein) zur Ausrichtung der Spindelpole. NUMA-Depletion oder Dynein-Unterdrückung beeinträchtigen die Minusenden der Mikrotubuli. KIFC1 wiederum konnte in menschlichen Oozyten als Spindel-stabilisierender Faktor ausgemacht werden. Seine experimentelle Beseitigung in nicht menschlichen Oozyten bewirkte dort Spindelpolinstabilität und Zunahme der Aneuploidie. Durch Zufuhr einer bestimmten Menge des KIFC1-Proteins in humane Oozyten konnten wir die Spindelinstabilität und das Risiko einer Aneuploidie in menschlichen Oozyten vermindern, heißt es abschließend in der Publikation [2].

 1 „Ein fehlender ‚Motor‘ lässt Eizellen versagen“, MPG-Newsletter, 20.02.2022
2 So C et al., Mechanism of spindle pole organization and instability in human oozytes. Science 2022; 375, DOI 10.1126/science.abj3944

Lesen Sie mehr und loggen Sie sich jetzt mit Ihrem DocCheck-Daten ein.
Der weitere Inhalt ist Fachkreisen vorbehalten. Bitte authentifizieren Sie sich mittels DocCheck.
- Anzeige -

Das könnte Sie auch interessieren

123-nicht-eingeloggt