Oft ist der Übergang von der Kinder- in die Erwachsenenmedizin, die sogenannte Transition, für chronisch erkrankte Jugendliche unzureichend organisiert. Wir sprachen mit Prof. Dr. Dr. med. Dagmar Führer-Sakel und Prof. Dr. med. Lars Pape darüber, was notwendig wären, damit diese Zeit nicht zur gesundheitlichen Belastung wird.
Prof. Dr. Dr. med. Dagmar Führer-Sakel
Direktorin der Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Stoffwechsel am Universitätsklinikum Essen, DGIM-Vorsitzende
Sekretariat.Endokrinologie@uk-essen.de
Prof. Dr. med. Lars Pape
Direktor der Kinderklinik II (Nephrologie, Endokrinologie, Gastroenterologie) am Universitätsklinikum Essen
DGKJ-Sprecher der AG Transition
Warum ist das Thema Transition wichtig?
Führer-Sakel: Chronische Erkrankungen, die im Kindesalter, der Jugend und Adoleszenz bestehen, erledigen sich nicht beim Eintritt ins Erwachsenenalter in ein bis zwei Jahren. Sie begleiten einen Menschen sein Leben lang. Jugendliche, die von einer familienzentrierten Kinderheilkunde in eine Erwachsenenmedizin wechseln, erleben einen Bruch. Sie werden in der Arztpraxis plötzlich gesiezt, müssen Entscheidungen treffen, sich selbst um Termine kümmern. Fachabteilungen in den Kliniken haben unter Umständen wechselnde Ansprechpartner und sind es nicht gewohnt, dass Eltern anwesend sind und mitreden. Das alles passiert in einer Phase, in der sich für junge Menschen viel ändert, der Berufseinstieg, Umzug und eine eigene Wohnung, Beziehungen. In dieser Phase wollen junge Menschen ohnehin nicht krank sein und gehen eher weniger zum Arzt.
Pape: Die jungen Menschen kommen aus einer überbehüteten Pädiatrie, wo wir den Patientinnen und Patienten hinterhertelefonieren, wenn sie nicht zum Termin erscheinen. Und dann finden sie sich in einer Medizin mit einem ganz anderen Personalschlüssel bis hin zur Massenambulanz wieder.
Führer-Sakel: Ja, genau. Und dabei benötigen chronisch erkrankte junge Menschen eine lebenslange spezialisierte Behandlung. In Deutschland gibt es in dieser Phase der Transition eine Versorgungslücke. Es fehlen Schnittstellenprogramme, um das Wissen aus der Pädiatrie in die Erwachsenenmedizin weiterzugeben. Natürlich geht es vor allem um den einzelnen Menschen, den wir behandeln, doch es geht auch um Kosten. In der Gesundheitspolitik ist eine unzureichend organisierte Transition ein großes Thema, weil langfristig eine Verschlechterung der Erkrankung und hohe Behandlungskosten drohen oder junge Menschen nicht arbeitsfähig sind.
Welche Patientengruppe betrifft diese Versorgungslücke? Haben Sie Beispiele?
Führer-Sakel: Insbesondere junge Menschen, die an Krankheitsbildern wie etwa Mukoviszidose, Typ- 1-Diabetes oder syndromalen Erkrankungen sowie seltenen komplexen Syndromen oder Tumorsyndromen leiden, eine Krebserkrankung überstanden oder eine Organtransplantation erhalten haben. Bei beispielsweise Mukoviszidose ist das Besondere, dass sich die Erkrankung im Laufe des Lebens verändert und im Kindesalter andere Probleme bestehen als im Erwachsenenalter. Derartige komplexe Erkrankungen benötigen eine spezialisierte Medizin.
Mir scheint das Thema Transition jetzt bedeutsamer als früher, mit steigender Tendenz. Ist das so?
Führer-Sakel: Die Transition war schon immer ein Thema. Aber durch die medizinischen Fortschritte der vergangenen Jahrzehnte haben viele Jugendliche mit seltenen chronischen Erkrankungen heute eine deutlich längere Lebensperspektive als früher. Erkrankungen, die früher nur in der Pädiatrie relevant waren, betreffen damit auch Internisten.
Wo sehen Sie konkrete Lücken in der Versorgung?
Pape: Hier hilft ein Blick auf andere Länder, wo es besser läuft, zum Beispiel in den UK und in Kanada. In beiden Ländern gibt es eine gute Transition in der Medizin. Gut ist beispielsweise in den UK die Implementierung der Ready-Steady-Go-Programme für chronisch kranke Kinder ab 11 Jahren sowie von Transitionscoaches. In Deutschland existiert flächendeckend nichts dergleichen. Eine Ausnahme bildet das Berliner Transitionsprogramm. Einige wenige Krankenkassen finanzieren sogar die Teilnahme. Für junge Patienten und Patientinnen in Berlin funktioniert das auch prima. Chronisch Erkrankte, die nicht in Berlin leben, bemängeln häufig, dass sie keine persönlichen Ansprechpartner haben. Wir haben also die Evidenz, dass flächendeckende Strukturen notwendig sind. Vieles davon steht auch in der S3-Leitlinie Transition, die 2021 entstanden ist [1]. Man müsste also eigentlich nur Empfehlungen aus der Leitlinie umsetzen. Aktuell passiert das aber nicht. Somit krankt es in Deutschland also an den Umsetzungsproblemen. Mich wundert es oft, dass auch die Krankenkassen nicht einsteigen. Langfristig spart es doch Kosten, wenn Vorsorge und notwendige Therapien konsequent fortgeführt werden.
Also hängt eine reibungslose Transition bisher stark vom Engagement einzelner Einrichtungen ab – und scheitert in der Regelversorgung am Geld?
Pape: Absolut. Es gibt ein paar Modellprojekte. Ansonsten fehlt es an verlässlichen Strukturen, klar definierten Verantwortlichkeiten und einer dauerhaften Finanzierung. Und ohne geordnete Übergänge besteht die Gefahr, dass junge Menschen nach dem Verlassen der pädiatrischen Versorgung nicht angemessen internistisch betreut werden oder erst nach einem langen Versorgungsabbruch wieder Anschluss finden.
Was können Allgemeinmediziner bzw. -medizinerinnen konkret tun, um den Übergang von Pädiatrie zur Erwachsenenmedizin besser zu gestalten?
Führer-Sakel: Aufmerksam sollten Hausärzte immer dann werden, wenn sie junge Patienten bzw. Patientinnen mit chronischen Erkrankungen haben. Oder wenn diese im Kindesalter an spezialisierte Einrichtungen angebunden waren. Die weiterbetreuenden Mediziner, Medizinerinnen sollten eine Awareness dafür entwickeln, bei diesen Betroffenen weiter eine fachärztliche, spezialisierte Versorgung/Mitbehandlung sicherzustellen. Also eine Gatekeeper-Funktion sicherzustellen. Auch können Hausarztpraxen diese jungen Leute darin unterstützen, die notwendigen Termine bei den Spezialisten zu bekommen. Also sicherstellen, dass der Zugang zu den Fachabteilungen auch funktioniert.
Pape: Man sollte nicht vergessen, dass es in Deutschland Landkreise mit einer Unterversorgung in der Pädiatrie gibt. Dort gehen die Jugendlichen sehr früh zum Hausarzt. Dieser ist dann die einzige konstante Person in der Transitionsphase. Somit kommt ihm auch eine besondere Bedeutung zu.
Führer-Sakel: Das gilt aber auch für Gynäkologen. Ich denke da beispielsweise an junge Frauen mit dem Turner-Syndrom. Hier ist es oft ein Gynäkologe bzw. eine Gynäkologin, die diese Patientinnen als einzige sehen. Und deshalb sollten diese wissen, dass beispielsweise auch eine regelmäßige Betreuung durch Endokrinologen notwendig ist und dementsprechend die Patientin darauf ansprechen.
Angenommen ein Hausarzt hat nun einen jungen chronisch kranken Patienten. Wo findet er für sich und den Patienten Unterstützung bzw. Hilfen?
Pape: Vor allem in der bereits erwähnten S3-Leitlinie Transition. Dann immer wieder auf Kongressen, beispielsweise von der DGIM. Aber auch über die Gesellschaft für Transitionsmedizin. Dann sind Selbsthilfegruppen häufig gut vernetzt und bieten Betroffenen eine gute Unterstützung an. Hausarztpraxen können Betroffene also unterstützen, indem sie Adressen oder Infomaterial dieser Selbsthilfegruppen weitergeben. Zudem ist das Berliner Transitionsprogramm eine sehr gute Anlaufstelle.
Die Arbeitsgruppe Transition wurde vor rund elf Jahren von der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) und der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) gegründet. Welche Ziele hat die AG?
Führer-Sakel: Auf den Punkt gebracht, dass wir nicht mehr über das Thema Versorgungslücken in der Transition reden müssen.
Dafür muss aber eine noch größere Awareness für das Thema Transition entstehen. Um chronisch erkrankte Kinder und Jugendliche in die Erwachsenenmedizin zu transferieren, bedarf es mehr als Ärzte und Psychologen. Es braucht weitere Unterstützung der jungen Patienten an den Schnittstellen, zum Beispiel durch Transitionscoaches.
Pape: Ehrlicherweise muss man aber sagen, dass die AG wenig erreicht hat. Es wurden Konzepte für Übergänge in der medizinischen Versorgung entwickeln und auch die Leitlinie erstellt. Auf der Ebene ist also relativ viel passiert. Wir wissen in Deutschland also, wie man es richtig macht. Aber wir können uns eine flächendeckende Organisation nicht leisten, da die Finanzierung fehlt.
Ohne Zweifel ist die Finanzierung ein entscheidender Punkt. Gibt es darüber hinaus aus Sicht der AG noch konkreten Verbesserungsbedarf?
Pape: Der Zeitpunkt des Transfers sollte nicht starr an den 18. Geburtstag gekoppelt sein. In der Kinder- und Jugendpsychiatrie ist eine Betreuung bis zum 21. Geburtstag möglich und kann teilweise darüber hinaus fortgeführt werden, wenn es dem Therapieerfolg dient. Eine solche flexible Übergangsphase sollte auch in der Pädiatrie möglich sein. Immer vorausgesetzt, dass es für die Behandlung der jungen Patienten sinnvoll ist. Denn als Pädiater muss man seine Patienten auch loslassen können, und der junge Patient sollte am Ende der Transitionsphase selbst Experte für die eigene Gesundheit geworden sein. Er sollte sich mit seiner Erkrankung und ihrer Behandlung auskennen und Therapieentscheidungen zusammen mit dem Behandlungsteam kompetent treffen können.
Vielen Dank für dieses Gespräch.
Bildnachweis: privat; Frau Prof. Führer-Sakel (DGIM/Bratulic)