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Allgemeinmedizin

HIV-Infektionen

Früher diagnostizieren

Farhad Schabaz, Hans Jäger

7.9.2020

Viele HIV-Infizierte werden nach wie vor erst in einem sehr späten Stadium diagnostiziert und behandelt. Der folgende Beitrag gibt einen Überblick über aktuelle und zukünftige Entwicklungen in der HIV-Therapie sowie über Behandlungsmöglichkeiten bei Koinfektionen mit Hepatitis B und C.

Im Jahr 2018 gab es etwa 2.400 HIV-Neudiagnosen. Hauptsächlich betroffen sind MSM (men having sex with men, 1.600) gefolgt von Menschen, die sich bei heterosexuellem Geschlechtsverkehr infiziert haben (530). Etwa 310 Menschen haben sich beim intravenösen Drogengebrauch infiziert. Hinzukommen die HIV-Erstdiagnosen bei Menschen, die eine Infektion im Ausland erworben haben.

Aktueller Wissensstand

Schätzungsweise 88 % der HIV-Infizierten in Deutschland sind diagnostiziert, 93 % davon in Behandlung und etwa 95 % der Behandelten haben unter antiretroviraler Therapie (ART) eine supprimierte Viruslast und können HIV nicht übertragen. Das von der UN vorgegebene Ziel, 90 % der HIV-Infizierten zu diagnostizieren, 90 % davon zu behandeln und bei 90 % unter ART eine supprimierte Viruslast zu erreichen (90-90-90), ist in Deutschland fast erreicht.

Die Präexpositionsprophylaxe (PrEP) ist eine zusätzliche wirksame Methode, die Zahl der Neuinfektionen signifikant zu reduzieren und zeigt bereits erste Effekte. Die tägliche Einnahme der Kombinationstablette aus Tenofovirdisoproxil und Emtricitabin (generisch verfügbar) reduziert das HIV-Ansteckungsrisiko bei vulnerablen Personengruppen stark. Seit September 2019 werden die Kosten für die PrEP und die Begleituntersuchungen von der GKV übernommen. Wichtig sind regelmäßige Untersuchungen auf andere sexuell übertragbare Erkrankungen und ein Monitoring der Nierenfunktion unter PrEP.

Kommt es zu einer HIV-Infektion, sollte eine antiretrovirale Therapie bis auf wenige Ausnahmen bei Diagnosestellung begonnen werden. Früh diagnostiziert und behandelt ist die Lebenserwartung annähernd vergleichbar mit der der „Normalbevölkerung“. Dennoch werden heute noch in Deutschland zu viele Betroffene erst in einem späten oder sehr späten Stadium mit dem Vollbild AIDS diagnostiziert.

Die deutschlandweite FIND-HIV-Studie soll bei HIV-Neudiagnosen herausfinden, an welchen Stellen im Gesundheitssystem vermehrt ein Augenmerk auf die frühzeitige Erkennung gelegt und aktiv ein HIV-Test angeboten werden sollte. Patientenseitige Charakteristika, die die Diagnose verzögern könnten, typische Symptome und Diagnosen vor der HIV-Erstdiagnose sowie die Stellen im Gesundheitssystem, an denen diese Patientengruppe vorstellig wurde, sollen identifiziert werden. Ziel ist es, durch Sensibilisierung der Akteure die seit Jahren gleichbleibende Zahl der „late presenter“ zu senken (Tab. 1).

Therapiestandard war bisher eine Kombination bestehend aus drei wirksamen Substanzen, welche in der Regel als ein Ein-Tabletten-Regime eingenommen werden kann. Hierfür gibt es aktualisierte Empfehlungen der Fachgesellschaften (DAIG und EACS). Blut für eine Resistenzanalyse sollte vor Therapieeinleitung abgenommen werden. Zum Einsatz kommen bisher Substanzen aus den Klassen der NRTI, NNRTI (nukleosidische und nicht nukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren), geboosterte Protease-Inhibitoren (PI) sowie Integrase-Inhibitoren (INI; siehe Tab. 2).

Neue antiretrovirale Substanzen

Mit dem neuartigen NNRTI Doravirine – verfügbar sowohl als Einzelsubstanz als auch in Kombination mit Lamivudin und Tenofovirdisoproxil – steht ein neuer Akteur in der Therapie zur Verfügung.

Krankheiten und Symptome, bei denen ein HIV_Screening empfohlen wird

Zunehmend wichtiger werden auch duale Therapiestrategien. Die Kombination aus Dolutegravir und Lamivudin hat die Zulassung sowohl bei Therapieeinleitung als auch im Switch-Setting. Eine chronische Hepatitis B sollte vorher ausgeschlossen werden. Auch andere duale Therapieregime haben sich mittlerweile etabliert (Dolutegravir und Rilpivirin im Switch-Setting). Im Hinblick auf das virologische Outcome zeigte sich in Studien keine Unterlegenheit gegenüber der standardmäßigen 3-Substanz-Therapie. Die Hoffnung ist, durch weniger Substanzen die Langzeittoxizität zu reduzieren.

Bei früher Therapie ist die Lebens­erwartung nahezu vergleichbar mit der der Normalbevölkerung.

In absehbarer Zeit werden Depotpräparate zur Verfügung stehen. In Phase-III-Studien war die Kombination aus langwirksamen Cabotegravir (Integrasehemmer) und Rilpivirin (NNRTI) bei monatlicher intramuskulärer Injektion gegenüber der oralen 3-Substanz-Therapie nicht unterlegen. Trotz injektionsbedingten Nebenwirkungen an der Einstichstelle waren 90 % der Teilnehmer sehr zufrieden. Geforscht wird weiterhin an subkutanen Implantaten, die aufgefüllt werden können und ihre Wirkstoffe über längere Zeit freisetzen.

Islatravir, ein Wirkstoff aus der neuen Substanzklasse NRTTI, ist aufgrund seiner langen Halbwertszeit ein vielversprechender Kandidat sowohl in der Therapie als auch in der PrEP. Ibalizumab, ein monoklonaler Antikörper, der alle zwei Wochen intravenös verabreicht werden muss, hat bereits die Zulassung für Patienten mit Multiresistenzen erhalten.

Koinfektion mit Hepatitis B

Aufgrund vergleichbarer Transmissionswege sind Koinfektionen bei HIV mit Hepatitis B (HBV) und C (HCV) nicht selten. Bei HIV/HBV koinfizierten Patienten kommt es in höherem Ausmaß zu Leberproblemen und Leberfibrose bis hin zum Vollbild einer Zirrhose. Neben der serologischen Untersuchung sollte auch HBV-DNA bestimmt werden. Eine regelmäßige sonografische Kontrolle ist sinnvoll.

Bei der Zusammensetzung der ART sollte diese HBV wirksame Substanzen enthalten. Hierfür stehen Tenofovirdisoproxil (TDF) und Tenofoviralafenamid (TAF, bei eGFR <60/min) zur Verfügung. Nur in zweiter Linie kommt Lamivudin zum Einsatz. Entecavir ist eine gute Alternative zu Tenofovir bei der HBV-Monoinfektion.

Gegen Tenofovir sind bis dato keine Fälle einer Resistenz bekannt. Unter einer solchen Therapie kommt es in der Regel zu einer vollständigen Suppression der HBV-Replikation, wenn auch eine HBs-Serokonversion selten erreicht wird. Daher kann es bei einem Wechsel der ART (z. B. zu einer dualen Therapie ohne HBV-Wirksamkeit) zu einem Aufflammen der Hepatitis kommen, bis hin zum fulminanten Leberversagen. Ein engmaschiges Monitoring ist somit wichtig.

Die Impfung gegen Hepatitis B ist bei HIV-positiven Patienten eine Indikationsimpfung und sollte bei fehlender Immunität regelhaft durchgeführt werden. Impfversager sind nicht selten. Ein Erfolg ist wahrscheinlicher bei gutem Immunstatus und supprimierter HI-Viruslast. Wird vier bis acht Wochen nach abgeschlossener Grundimmunisierung ein Anti-HBs-Titer ≥ 100 IE/L erreicht, spricht dies für eine erfolgreiche Immunisierung.

Koinfektion mit Hepatitis C

Bis zu einem Drittel der Patienten mit chronischer Hepatitis C entwickeln eine Leberzirrhose mit den dazugehörigen Komplikationen bis hin zum hepatozellulären Karzinom. Analog zu Hepatitis B bei HIV-Patienten sollte auch eine Untersuchung auf Hepatitis C erfolgen. Antikörper gegen HCV bleiben auch nach Ausheilung positiv. Zum Ausschluss einer aktiven Infektion eignet sich hierfür die PCR (Polymerase-Ketten-Reaktion). Auch bei Verdacht auf eine akute Hepatitis C ist die PCR die bessere Screening-Methode, da Antikörper erst verzögert nachweisbar sind.

Galt noch vor einigen Jahren eine Therapie der chronischen Hepatitis C mit Interferon und Ribavirin als langwierig, nebenwirkungsreich und nur mäßig erfolgreich, stehen heute interferonfreie orale Therapien (direkt antiviral wirksame Substanzen, DAA) zur Verfügung, die eine bis zu 100%ige Ansprechrate haben. Zum Einsatz kommen Fixkombinationen aus Inhibitoren der RNA-abhängigen RNA-Polymerase, der NS3/4A-Protease und des NS5A-Proteins des Hepatitis-C-Virus. Die verschiedenen Medikamente unterscheiden sich in ihrer genotypischen antiviralen Potenz. Es stehen zunehmend pangenotypische Präparate zur Verfügung. Ausschlaggebend für die Auswahl der Therapie der chronischen Hepatitis C ist der Fibrosegrad bzw. das Vorliegen einer Leberzirrhose sowie der Genotyp und ggf. die HCV-Vortherapie. Begleitmedikation sowie Nieren- und Leberfunktion müssen berücksichtigt werden.

Vor Therapieeinleitung sollte eine Lebersonografie zum Ausschluss eine Zirrhose oder HCC typischer Läsionen erfolgen. Zur nicht invasiven Bestimmung des Fibrosegrades eignet sich die Elastografie; zusätzlich können Scores (APRI-Score und Fib-4-Score) zur Beurteilung herangezogen werden. In der Regel kann eine chronische Hepatitis C aktuell im Zuge einer 8- bis 12-wöchigen Therapie geheilt werden. Das dauerhafte virologische Ansprechen der DAA-Therapie wird zwölf Wochen nach Therapieende beurteilt (SVR 12). Eine sonografische Verlaufskontrolle ist sinnvoll, wenn bereits vor Therapie eine höhergradige Fibrose oder Zirrhose vorlag, da auch nach Ausheilung allein aufgrund des schon vorhandenen Leberschadens ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines hepatozellulären Karzinoms besteht. Die Bestimmung des Tumormarkers Alpha-Fetoprotein (AFP) kann als Verlaufsparameter hilfreich sein.

HIV und Psyche

Trotz immer besserer Therapiemöglichkeiten der HIV-Infektion ist die Prävalenz von psychischen Erkrankungen bei HIV-Infizierten weiterhin hoch, wobei auch an einen möglichen Zusammenhang mit der Zugehörigkeit zu Risikogruppen gedacht werden sollte. Depressionen und Suchterkrankungen kommen im Kontext einer HIV-Infektion gehäuft vor.  Die Konfrontation mit einer lebenslangen chronischen Erkrankung sowie körperliche und soziale Faktoren begünstigen psychische Probleme.

Besteht eine Depression, kann dadurch unter anderem der Erfolg einer HIV-Therapie bedingt durch eine schlechte Compliance konterkariert werden; rechtzeitig sollte erwogen werden, eine antidepressive Therapie einzuleiten und psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Gleichzeitig können aber auch verschiedene antiretrovirale Substanzen, z. B. aus der Gruppe der Integrasehemmer, zentralnervöse Nebenwirkungen haben. Neben Schlafstörungen und veränderten Träumen sind auch hier Depressionen möglich. Es ist wichtig, den Patienten nach möglichen Nebenwirkungen zu fragen und alternative Therapieregime zu wählen.

Für Menschen, die mit einer HIV-Infektion leben, existieren auch zahlreiche psychosoziale Beratungsmöglichkeiten, z. B. bei den AIDS-Hilfen, die auch als Anlaufpunkte zum Austausch mit anderen ­Betroffenen dienen können. Auch bei verschiedenen anderen Aspekten rund um die HIV-Infektion (z. B. rechtliche Situation und Arbeitsrecht, Schwerbehindertenstatus, Sexualität, Diskriminierung etc.) bieten die AIDS-Hilfen Unterstützung an.

Fazit

Bei Grippe-ähnlichen Symptomen oder einer Mononukleose (EBV) an HIV denken und testen.
Duale Therapien sind erfolgreich in der ­Behandlung und könnten Langzeittoxizität reduzieren.
Koinfektion mit Hepatitis B und Hepatitis C sind häufig und sollten ausgeschlossen werden.
Seelische Beeinträchtigungen und Erkrankungen, z. B. die Depression, kommen im Kontext einer HIV-Infektion und bei verschiedenen antiretroviralen Substanzen gehäuft vor.

Der Autor

Farhad Schabaz
MVZ Karlsplatz
80335 München

fsc@mvz-karlsplatz.de

Der Autor

Hans Jäger
MVZ Karlsplatz
80335 München

info@mvz-karlsplatz.de

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