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Allgemeinmedizin

Autoimmunerkrankung

Zielgenaue moderne Therapie bei rheumatoider Arthritis

Dr. med. Bianca Bach

22.6.2022

Neu entwickelte, direkt in die Entzündungsprozesse eingreifende Medikamente haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten die Behandlung bei rheumatoider Arthritis maßgeblich verbessert – nicht zuletzt auch dank gezielter Behandlungsstrategien. Doch längst sind nicht alle Fragen geklärt.

Heilen kann man rheumathoide Arthritis (RA) nicht. Realistisch ist aber eine klinische Remission. Sie ist als Behandlungsziel etabliert. Die Krankheitslast hat abgenommen, stationäre Behandlungen sind seltener nötig. Möglich machen das hochwirksame Medikamente und ein evidenzbasiertes ­Treat-to-Target(T2T)-Vorgehen nach Leitlinien. Zur Diskussion stehen Deeskalationsstrategien und u. a. der Wirkstoff- versus Klassenwechsel bei Therapie­änderung [1].

Dass es besser ist, sich an definierten Therapiezielen zu orientieren, das regelmäßig zu prüfen und gegebenenfalls die Behandlung anzupassen, ist vielfach erwiesen, auch unter Alltagsbedingungen. Wichtig ist, die Krankheitsaktivität regelmäßig zu dokumentieren, etwa mit dem DAS28 (28-Gelenke-Disease Activity Score). Nach der S2e-Leitlinie erhalten Patienten mit Diagnosestellung ein csDMARD (konventionell synthetisches Disease Modifying Antirheumatic Drug) [2]. Unbestrittener Goldstandard bleibt Methotrexat (MTX), mit Leflunomid oder Sulfasalazin als Ausweichalternativen. Nach drei Monaten sollte eine Besserung um 50 % erreicht sein, nach sechs Monaten die Remission. Wird ein Ziel verfehlt, inten­siviert man die Therapie.

Biologikum oder JAK-Inhibitor?

Mitunter kann man es zwölf Wochen mit einem zweiten csDMARD versuchen – bei ungünstiger Pro­gnose oder hoher Krankheitsaktivität ist jedoch ein bDMARD (biological DMARD) oder ein tsDMARD (targeted synthetic DMARD) indiziert (Tab.). Seit Einführung von Etanercept zur Jahrtausendwende sind neben anderen Tumornekrosefaktor-alpha-Inhibitoren (TNFi) weitere bDMARD hinzugekommen, die verschiedene Zytokinwege im Entzündungsgeschehen hemmen. Sie werden im Alltag zunehmend durch wirkgleiche, genauso sichere, kostengünstigere Biosimilars ersetzt. Mit den Januskinase-Inhibitoren (JAKi) stehen seit einigen Jahren erste tsDMARD zur Verfügung. Als kleine Moleküle haben sie einen wesentlichen Vorteil: Patienten können sie oral einnehmen. Wegen der guten Wirksamkeit, der umfassendsten Erfahrung und aus Gewohnheit greifen viele Rheumatologen in der Zweitlinientherapie weiter zuerst zu TNFi. Zumal Studien zu anderen Wirkstoffen vornehmlich Patienten betrachten, die unzureichend auf TNFi angesprochen haben. Rituximab ist sogar erst dann zugelassen. Die neueren unter den JAKi sind allerdings TNFi in der Wirksamkeit leicht überlegen. Das belegen Direktvergleiche mit Adalimumab.

Auswahl auch nach individuellem Risikoprofil

Letztlich kommen bei der Therapiewahl, die Ärzte und Patienten gemeinsam treffen, individuelle Präferenzen und Sicherheitsaspekte zum Tragen. Die kürzlich veröffentlichte Studie ORAL Surveillance hat neue Fragen nach JAKi-Nebenwirkungen aufgeworfen [3]. In der Langzeitsicherheitsstudie zu Tofacitinib mit rund 4 500 Teilnehmern mit aktiver RA und zusätzlichen kardiovaskulären Risikofaktoren hatten über 65-Jährige unter Tofacitinib ein höheres Risiko für schwere kardiovaskuläre Ereignisse und bösartige Tumoren als jene, die Adalimumab oder Etanercept erhielten. Der kardioprotektive Effekt von TNFi dürfte zu dem Unterschied beigetragen haben. Rückschlüsse auf einen Klasseneffekt erlaubt die Studie nicht, und Real-Life-Daten bestätigen die Beobachtungen bislang für keinen JAKi. Um das Malignomrisiko besser einschätzen zu können, bedarf es bevölkerungsbasierter Langzeitstudien und mehr Erfahrung. JAKi-Risiken sind außerdem venöse Thromboembolien und eine deutlich erhöhte Herpes-­zoster-Rate. Hier beugt die Impfung vor.

Therapiewechsel: Gleiche oder andere Wirkstoffklasse?

Schlägt die Zweitlinientherapie fehl, stellt sich die Frage, ob man es noch einmal mit einem ähnlichen Wirkstoff versucht oder gleich die Medikamentenklasse wechselt. Untersuchungen zum Wechsel auf TNFi von anderen b- und tsDMARD fehlen [1]. Dass viele Patienten mit TNFi-Versagen von einem Klassenwechsel profitieren, ist dafür für fast alle bDMARD und für tsDMARD belegt. Dennoch verhielten sich Rheumatologen nach US-Versicherungsdaten von über 10 000 RA-Patienten zumindest vor Einführung der JAKi konservativ: In 63,5 % der Fälle verordneten sie einen zweiten TNFi und nur bei 36,5 % ein ­Präparat einer anderen Wirkstoffklasse [4]. Bei mehr als der Hälfte war dies Abatacept. Bei einem Klassenwechsel behielten die Patienten die neue Behandlung mit durchschnittlich 605 gegenüber 489 Tagen allerdings deutlich länger bei. Bisherige Daten sprechen tendenziell eher für den Klassenwechsel. Beson­ders sinnvoll scheint er nach Versagen des vorherigen Medikaments, vor allem bei primär fehlendem Ansprechen. Ein Absetzen wegen milder Nebenwirkungen, etwa an der Einstichstelle, rechtfertigt einen klassengleichen Therapieversuch [1].

Kombinations- und Differenzialtherapie

Die meisten bDMARD und Tofacitinib werden mit MTX kombiniert. Das wirkt in der Regel besser als die Monotherapie und führt bei bDMARD seltener zur Bildung von Anti-Drug-Antikörpern. IL-6-Inhibitoren wirken genauso gut in Monotherapie, und auch Baricitinib, Filgotinib und Upadacitinib sind dafür zugelassen. Rituximab allein ist off-label, ebenso sein Einsatz ohne vorheriges TNFi-Versagen. Letzteres macht aber in Sondersituationen Sinn, etwa bei Tuberkuloseanamnese oder Malignom. Der Anti-CD20-Antikörper hilft auch bei Begleitvaskulitis und RA-assoziierter interstitieller Lungenerkrankung (RA-ILD). Bei Letzterer eignet sich auch Abatacept. Ansonsten steht bei progredienter RA-ILD noch Nintedanib als antifibrotische Substanz zur Verfügung.

Deeskalation

Voraussetzung, um bei guter Krankheitskontrolle DMARD wegzulassen, ist eine stabile, Glukokortikoid(GC)-freie Remission seit mindestens sechs Monaten [2]. Gefordert wird ein DAS28 < 2,6. Da ein DMARD-Absetzen ein hohes Rezidivrisiko birgt, vor allem bei CCP- und Rheumafaktor-Nachweis, wird schrittweises Ausschleichen empfohlen: entweder verringert man die Einzeldosen oder verlängert das Applikationsintervall. In der RETRO-Studie mit 303 RA-Patienten in mindestens einjähriger Remission wurden DMARD-Beibehalten, Dosishalbierung und Beendigung nach sechsmonatiger Halbierung verglichen. Nach zwölf Monaten waren noch 81 %, 59 % und 43 % der Patienten in Remission [5]. Bei Kombinationen empfiehlt die European League Against Rheumatism (EULAR), vor allem aus wirtschaftlichen Gründen, zunächst bDMARD abzusetzen. Unter anderem in einer Deeskalationsstudie bei Patienten unter Etanercept plus MTX erwies sich aber das primäre Absetzen von MTX als günstiger. Waren unter fortgesetzter Kombinationstherapie nach 48 Wochen noch 52,9 % weiter in stabiler Remission, waren es unter Etanercept-Monotherapie 49,5 %, allein unter MTX aber nur 28,7 % [6].

Wichtig sind engmaschige Verlaufskontrollen. Beruhigend ist, dass die Wiederaufnahme der Ursprungstherapie in voller Dosis alle RETRO-Patienten mit Rezidiv in Remission zurückbrachte.

Einfluss des Lebensstils

Lebensstiländerungen ergänzen die medikamentöse Behandlung. Laut EULAR gelten allgemeine Empfehlungen für gesunde Ernährung, Bewegung, Gewichtskontrolle und Rauchverzicht auch für Rheumapatienten [7]. Während moderater Alkoholkonsum mit verringertem RA-Risiko einhergeht, kann er bei etablierter RA Schübe provozieren. Adipositas und Rauchen sind mit schlechterer Prognose und weniger Therapieansprechen assoziiert. Beide tragen zum ohnehin bei RA erhöhten kardiovaskulären Risiko bei. Grund genug, mit dem Rauchen aufzuhören, auch wenn der Nutzen im Hinblick auf die Krankheitsaktivität bei etablierter RA nicht belegt ist [2].

Wegen ihrer antioxidativen und antiinflammatorischen Eigenschaften wird RA-Patienten vor allem eine Mittelmeerdiät empfohlen. Mit der Ernährung befassen sich immer mehr Studien [8]. Sie zielen beispielsweise auf pro- oder antiinflammatorische Wirkungen über Veränderungen des Mikrobioms, negative Auswirkungen durch hohen Salzkonsum und Süßsprudel­getränke sowie antiinflammatorische Effekte von ­ungesättigten Fettsäuren wie Omega-3, Probiotika und ballaststoffreicher Kost. Womöglich spielen auch Stoffwechselprodukte von Darmbakterien, wie Propionat, und Spurenelemente wie Zink und Cadmium als sein negativer Gegenspieler eine Rolle. Günstig scheint auch der Verzehr von Knoblauch, Ingwer, Zimt und Safran. Orale Vitaminsupplemente waren nicht mit signifikanten Reduktionen von RA-Aktivität oder Schüben assoziiert. Speziell Vitamin D bleibt umstritten. Trotzdem sollten es RA-Patienten mit Vitamin-D-Mangel erhalten, um muskuloskelettalen Komplikationen vorzubeugen.

Ausblick

Remissionen über sechs Monate und länger gelingen vor allem bei kurzer Krankheitsdauer, fehlender Behinderung und ohne initialen GC-Bedarf. Mehr und mehr wird eine tiefe Remission in Erwägung gezogen, bei der auch Labor und Bildgebung – Ultraschall oder MRT – keine Entzündung mehr anzeigen. Da trotz allem nicht immer eine Krankheitskontrolle gelingt, besonders, wenn die Erkrankung länger besteht, besteht weiter Bedarf an neuen Therapieoptionen.

In der Pipeline sind unter anderem der Nanokörper-TNFi Ozoralizumab, der IL-6-Inhibitor Olokizumab, der Granulozyten-Makrophagen-Kolonie-stimulierende Faktor(GM-CSF)-Inhibitor Otilimab und orale Nicht-JAK-Kinase-Inhibitoren wie Fenebrutinib, Evobrutinib und PF-06650833.

Nicht medikamentös gelang es in einer offenen Studie mit 35 Patienten mit unzureichendem Ansprechen auf csDMARD und mindestens ein bDMARD, mittels transkutaner Vagusnervstimulation, über drei Monate die DAS28-Krankheitsaktivität signifikant zu senken [9].

Biologika und Januskinase-Inhibitoren

In Deutschland erhält inzwischen jeder dritte ­Patient mit rheumatoider Arthritis eines der modernen Medikamente, also Biologika oder Janus­kinase(JAK)-Inhibitoren. Die wichtigsten ­Biologika sind die TNF-alpha-Hemmer. Sie haben die große Stärke, dass sie auch kardioprotektiv wirken und vor Herzinfarkt und Schlaganfall schützen. JAK-Inhibitoren haben auch einen sehr hohen Stellen­wert. Ihre Wirksamkeit ist etwas stärker als die der TNF-alpha-Hemmer, zumindest bei den neueren, selektiveren wie Baricitinib, Filgotinib und Upadacitinib. Es gibt aber noch ungeklärte Sicher­heitsaspekte. Sie scheinen sich eher nach den Biologika einzureihen, da sie nicht die gleichen positiven Effekte auf die Gefäße haben wie die TNF-alpha-Hemmer. Eine Vielzahl von Biologika wird mit Methotrexat kombiniert, weil die Wirkung dann besser ist. Es gibt jedoch einzelne – vor allem sind das die Interleukin-6-Hemmer Tocilizumab und Sarilumab –, bei denen man auch auf MTX verzichten kann. Das ist bedeutsam, weil relativ viele Patienten Methotrexat nicht optimal vertragen.

FAZIT: Biologika und tsDMARD haben die RA-Therapie verändert. Zusammen mit einer leitliniengerechten T2T-Strategie ermöglichen sie auch nachhaltige Remissionen, zumindest bei früher Diagnose. Gerade für Patienten mit fortgeschrittener Erkrankung sind dennoch neue Optionen willkommen. Auch der Lebensstil spielt eine Rolle. Unklar ist unter anderem noch das ideale Vorgehen beim Therapiewechsel, und wie man sicher deeskaliert.

Der Experte

Prof. Dr. med. Christoph Fiehn
Facharzt für Innere Medizin/
Rheumatologie
Medical Center Baden-Baden
76530 Baden-Baden

Krüger K, Z Rheumatol 2022 Mar; 81: 118–124
Fiehn C et al., Z Rheumatol 2018; 77(Suppl 2): 35–53
Ytterberg SR et al., N Engl J Med 2022 Jan 27; 386: 316–326
Karpes Matusevich AR et al., Arthritis Care Res (Hoboken) 2021 Oct; 73: 1461–1469
Tascilar K et al., Lancet Rheumatol 2021; 3: E767–E777
Curtis JR et al., Arthritis Rheumatol 2021 May; 73: 759–768
Gwinnutt JM et al., Ann Rheum Dis 2022 Mar 8; annrheumdis-2021-222020
Cutolo M, Nikiphorou E, Nutrients 2022 Feb 19; 14: 888
Marsal S et al., Lancet Rheumatology 2021; 3: e262–e269

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