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Dermatologie

Adjuvante Wundtherapie

Lokaler Einsatz physikalischer Verfahren

Dr. med. Yuri Sankawa

24.2.2024

Durch die Optimierung der lokalen Standardtherapie chronischer Wunden kann nicht nur die Wundheilung beschleunigt werden, auch eine Verbesserung der Lebensqualität und die Reduktion von Folgeerkrankungen sind das Ziel. Einen Überblick über geeignete adjuvante physikalische Therapien gibt die neue S3-Leitlinie.

Seit Ende August 2023 steht die aktualisierte S3-Leitlinie zur Behandlung schwer heilender und/oder chronischer Wunden zur Verfügung, die schwerpunktmäßig die Lokaltherapie von Menschen mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK), Diabetes mellitus (DM) oder chronischer venöser Insuffizienz (CVI) adressiert. Die erstmals im Jahr 2012 etablierte Leitlinie wurde unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung (DGfW) und Beteiligung der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) plus 14 weiteren wissenschaftlichen Fachgesellschaften überarbeitet [1]. Eine der Schlüsselfragen der neuen Leitlinie behandelt auch den Einsatz ergänzender „adjuvanter Maßnahmen“ auf Basis der bis dato verfügbaren Evidenz.

Bedeutung adjuvanter Maßnahmen

Wunden bei pAVK, DM (namentlich das diabetische Fußulkus, DFU) und CVI (Ulcus cruris venosum, UCV) gehen mehrheitlich von Beginn an bereits in Richtung Chronizität. Hinzu kommt, dass insbesondere beim DFU Diagnosen häufig zu spät gestellt werden und die Wunden längere Zeit bestehen, bevor die Betroffenen einem Spezialisten oder einer Spezialistin vorgestellt werden. Kommt eine pAVK hinzu, erhöht sich zudem das Risiko für eine fehlende Abheilung, Infektionen oder gar Amputation. Es gibt Hinweise, dass auch die CVI als Ursache von Ulzerationen in Hausarztpraxen eher unterschätzt und ebenfalls zu selten dia­gnostiziert wird. Als zentraler Ausgangspunkt der Leitlinie wird daher die Annahme ausgesprochen, dass Basisprinzipien der lokalen Wundtherapie nicht über alle Versorgungsebenen hinweg hinreichend bekannt sind bzw. umgesetzt werden und langwierige oder stagnierende Heilungsverläufe häufig als Folge einer Fehlversorgung resultieren – auch in Bezug auf die Grunderkrankung – und somit oftmals vermeidbar wären. Durch eine optimierte Lokaltherapie sollte sich im Idealfall nicht nur die Abheilung der Wunde erreichen lassen, sondern auch die Lebensqualität verbessert sowie Folgeschäden vorgebeugt werden können.

Die Optimierung der körperlichen Verfasstheit im Allgemeinen oder den verbesserten Abtransport wundbedingter Stoffwechselprodukte führt die Leitlinie als Zielsetzung für mögliche adjuvante Maßnahmen an, die zur Therapie chronischer und/oder schwer heilender Wunden infrage kommen. Diese können allgemeiner Art sein (z. B. Ernährung, Ödemtherapie, medikamentöse Behandlung von Schmerzen) oder auf physikalischen Maßnahmen beruhen, die mithilfe verschiedener Energiequellen (z. B. Unterdruck, Strom, Magnetfeld, Wärme) zu einer verbesserten Durchblutung bzw. Sauerstoffversorgung im Wundbereich beitragen sollen.

In der neuen Leitlinie wurde zur Beantwortung der Schlüsselfrage, „welche physikalischen Maßnahmen ergänzend eingesetzt werden sollten“, die Datenlage zu patientenrelevanten Zielgrößen wie Wundheilung oder Lebensqualität ausgewertet. Schon in der Einleitung wird darauf hingewiesen, dass Produkte zur lokalen Wundversorgung mehrheitlich unter das Medizinproduktegesetz fallen und die CE-Zertifizierung keinen Nachweis der klinischen Wirksamkeit und Sicherheit durch randomisierte, kontrollierte Studien (RCT) erfordert. Dies könnte die teils noch dürftige Studienlage bei einigen der Verfahren erklären, die die Erfassung und Einordnung von Evidenz erschwert und die Formulierung von Therapieempfehlungen – zumindest zum Zeitpunkt der aktuellen Überarbeitung der Leitlinie – nicht zuließ. Da die Leitlinie künftig in eine „Living Guideline“ überführt werden soll, können die Empfehlungen bei der jährlichen Überprüfung ggf. aktualisiert werden, sofern sich die Evidenzgrundlage ändern sollte.

Empfehlungen bei zwei physikalischen Verfahren verfügbar

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt konnten in der S3-Leitlinie jeweils eine Empfehlung zur Vakuumversiegelungstherapie (auch: Unterdruck-Wundtherapie) und zur hyperbaren Sauerstofftherapie formuliert werden (Infokasten).

Vakuumversiegelungstherapie

Die Vakuumversiegelungstherapie wurde in Bezug auf tiefe oder großvolumige Wunden, Wunden mit großen Exsudatmengen sowie zur Wundkonditionierung vor einer Deckung mit einer „Kann“-Empfehlung versehen. Einschränkend auf die Empfehlung wirkte sich die trotz einer Vielzahl an Studien inkonsistente Datenlage bei niedriger Qualität der Evidenz aus. Insbesondere konnte in einer großen multizentrischen Studie aus Deutschland bei Personen mit DFU (DiaFu, n = 368) keine statistisch signifikante Überlegenheit der Unterdruck-Wundtherapie gegenüber der standardisierten feuchten Wundbehandlung nachgewiesen werden. Primärer Endpunkt der Studie war die Wundheilung innerhalb von 16 Wochen im klinischen Alltag, sekundäre Endpunkte umfassten u. a. Amputationsraten sowie Rezidive/Wundheilungen innerhalb von 6 Monaten [2]. Die Kann-Empfehlung kam dennoch zustande, da die Expertengruppe gerade bei der Eindämmung von starker Exsudation Vorteile sah.

Auf mögliche Risiken im ambulanten Bereich wird hingewiesen, da im Rahmen der Folienabdichtung oder des Absaugens technische Probleme auftreten können und es im Zuge einer Exsudatretention zu Folgekomplikationen wie einer Wundinfektion kommen kann.

Hyperbare Sauerstofftherapie

Für die hyperbare Sauerstofftherapie (HBO) spricht die Leitlinie eine schwache „Sollte“-Empfehlung als adjuvante Therapieoption aus, sofern sie selektiv beim therapierefraktären DFU mit angiopathischer Komponente angewendet wird. Zuvor müssen alle Revaskularisierungsmaßnahmen und konservative Therapieansätze wie eine Druckentlastung ausgeschöpft worden sein. Mehrere RCT und Meta­analysen, darunter auch eine Metaanalyse des In­stituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) weisen auf die Wirksamkeit der HBO bei DFU (mit und ohne pAVK) hin [3]. Insbesondere konnte für den Endpunkt „kompletter Wundverschluss“ nach 12 Monaten ein signifikanter Unterschied mit HBO gegenüber keiner HBO bei DFU gezeigt werden. Es wird empfohlen, die Indikation zur HBO eng zu stellen und das Verfahren frühzeitig in ein interdisziplinäres, multimodales Gesamtkonzept der DFU-Behandlung einzubinden. Dies soll auch der rechtzeitigen Identifizierung von Patientinnen und Patienten dienen, die am ehesten vom Verfahren profitieren könnten, da der Einsatz bei einer späten Indikationsstellung häufig nicht mehr sinnvoll ist. Bei beiden physikalischen Zusatzmaßnahmen ist die Abrechnung im EBM (Einheitlicher Bewertungsmaßstab) geregelt.

Neue Evidenz zur Kaltplasmatherapie

Physikalisches Plasma kommt bereits seit einigen Jahrzehnten industriell zur Anwendung, z. B. als thermisches (heißes) Plasma zur Behandlung von Oberflächen oder zum Schneiden. Auch in der Medizin wird thermisches Plasma z. B. bei der endoskopischen Gewebekoagulation genutzt [4]. Mit Plasma ist der gasförmige Aggregatzustand von Materie gemeint, der durch die Einwirkung von Energie erzeugt wird und im Falle von thermischem Plasma vollständig ionisiert ist. Nichtthermisches Plasma (Kaltplasma, auch: Niedertemperaturplasma) ist dagegen teilionisiert und enthält u. a. reaktive Sauerstoff- und Stickstoffspezies bzw. regt die Emission von UV-Strahlung sowie elektrischen Feldern an. Diese Bestandteile bzw. kurzzeitig und lokal im Wechselspiel mit der atmosphärischen Luft, Flüssigkeiten und Oberflächen entstehenden Emissionen werden auch als wesentliche biologisch aktive Wirkkomponenten von Kaltplasma angesehen. Marktübliche Medizingeräte nutzen zur Erzeugung von Kaltplasma verschiedene Plasmaquellen, darunter Argon, Helium, Raumluft, Sauerstoff, Stickstoff oder auch Gemische [5]. Zum Zeitpunkt des aktuellen Leitlinien-Updates zur Lokaltherapie chronischer Wunden lagen lediglich zur Anwendung von Kaltplasma bei DFU und UCV kleinere Studien vor, sodass diesbezüglich keine Empfehlung verabschiedet wurde [1]. Praktisch bestehen noch Unsicherheiten, mit welcher Dauer und wie häufig kalte Plasmen beim chronischen Wundmanagement zum Einsatz kommen sollten. Die S2k-Leitlinie zum „rationalen therapeutischen Einsatz von kaltem physikalischem Plasma“ empfiehlt in diesem Kontext 2–3 Anwendungen wöchentlich, gefolgt von einer längeren Pause über 2–3 Wochen [5].

Neue Evidenz generiert derzeit die POWER(Plasma on chronic Wounds for Epidermal Regeneration)-Studie, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. In der laufenden Studie wird die Wirksamkeit einer Kaltplasmatherapie bei chronischen (mindestens 8 Wochen bestehenden), nicht heilenden Wunden (Ulcus cruris venosum oder Ulcus cruris arteriosum, Wundgröße von bis zu 10 × 10 cm) im Vergleich zur Standardwundbehandlung prospektiv, randomisiert und multizentrisch untersucht. Anhand der Ergebnisse einer ersten Interimsanalyse der Daten von 48 Personen konnte gezeigt werden, dass sich die komplette Wundheilung über die Kombination aus Standardtherapie plus Kaltplasma­anwendung mit einem vollautomatisierten CPTcube/patch-System signifikant gegenüber der Standardwundtherapie allein beschleunigte (Abb.). Die Behandelten waren deutlich seltener auf Antibiotika angewiesen (4 vs. 23 %) und profitierten auch hinsichtlich Wundschmerzen sowie Lebesqualität von günstigen Effekten der Kaltplasmaanwendung. Die Therapieunterschiede wurden über einen Zeitraum von 4 Wochen mit 3 Visiten pro Woche ausgewertet [6]. Finale Ergebnisse der POWER-Studie werden für Ende 2024 erwartet.

Fazit

Die hyperbare Sauerstofftherapie sollte selektiv bei therapierefraktärem diabetischen Fußulkus mit angiopathischer Komponente als adjuvante Therapie eingesetzt werden. Voraussetzungen hierfür sind das Ausschöpfen aller Revaskularisierungsmaßnahmen sowie die Fortführung der konservativen Therapie (u. a. Druckentlastung). Bei Wunden mit großen Exsudatmengen kann auch die Vakuumversiegelungstherapie adjuvant eingesetzt werden. Neue Evidenz liegt für den zusätzlichen Einsatz von Kaltplasma vor. Als Ergänzung zur Standardtherapie bewirkt es ersten Studiendaten zufolge eine Beschleunigung der Wundheilung. Auch Wundschmerzen und Antibiotika-Bedarf konnten durch die Anwendung von Kaltplasma reduziert werden.

1 S3-Leitlinie „Lokaltherapie schwerheilender und/oder chronischer Wunden aufgrund von peripherer arterieller Verschlusskrankheit, Diabetes mellitus oder chronischer venöser Insuffizienz“, AWMF-Reg.-Nr.: 091-001, 2023
2 Seidel D et al., BMJ Open 2020; 10: e026345
3 IQWiG-Berichte, Abschlussbericht Nr. 382, 2016
4 Emmert S et al., Hautarzt 2020; 71: 855–62
5 S2k-Leitlinie „Rationaler therapeutischer Einsatz von kaltem physikalischem Plasma“, AWMF-Reg.-Nr.: 007-107, 2023
6 Rached NA et al., J Clin Med 2023; 12: 5121

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