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Onkologie

Zytokine

Die Botenstoffe des Immunsystems

Dr. rer. nat. Reinhard Merz

Zytokine sind Proteine, die als Botenstoffe zwischen den einzelnen Komponenten des Immunsystems fungieren. Mit ihrer Hilfe verständigen sich Lymphozyten & Co und koordinieren so die Immunantwort. Auch Hormon- und Nervensystem werden von Zytokinen mit beeinflusst.

Zytokine sind Teil der unspezifischen (angeborenen) und der spezifischen (erworbenen) Immunabwehr. Sie wirken als Botenstoffe, über welche die Immunzellen miteinander kommunizieren. Sie können die Immun­antwort anregen oder hemmen und wirken als Wachs­tumsfaktoren, Aktivatoren oder Inhibitoren. Dazu müssen sie nicht in die Zielzellen eindringen, sondern steuern durch die Bindung an Rezeptoren auf der Oberfläche die interne Signalverarbeitung von Zellen.

Zytokine und Immunabwehr

Viele Zytokine heißen Interleukine (IL) und werden von 1 aufsteigend durchnummeriert (IL-1, IL-2, IL-3 usw.). Andere werden nach ihrer Funktion benannt, wie der Tumornekrosefaktor-alpha (TNF-α). Nach ihrer Wirkung im Zuge der Immunantwort unterscheidet man entzündungsfördernde und entzündungshemmende Zytokine: Proinflammatorische Zytokine locken Immunzellen an und sorgen damit für eine stärkere Durchblutung des betroffenen Gewebes sowie die Aktivierung der Immunzellen (Entzündung). Zu dieser Gruppe gehören: TNF-α, IFN-y (Interferon), IL-1, IL-2, IL-6, IL-12 sowie M-CSF (Makrophagen-Kolonie-stimulierender Faktor) und GM-CSF (Granulozyten/Makrophagen-Kolonie-stimulierender Faktor). Antiinflammatorische Zytokine lassen die Entzündung wieder abklingen und inhibieren die aktivierten Zellen. Dazu gehören IL-10 und TGF-ß, der transformierende Wachstumsfaktor (Abb. 1). Ein Gleichgewicht der beiden Fraktionen ist Voraussetzung dafür, dass die Immunreaktion gezielt anspringt und auch wieder zum Erliegen kommt. Bei gestörtem Gleichgewicht zugunsten der antiinflammatorischen Zytokine werden Krankheitserreger nicht erkannt und beseitigt, der Patient leidet oft an Infektionen. Liegen proinflammatorische Zytokine im Überschuss vor, entsteht eine chronische Entzündung (Autoimmunkrankheit). Dazu gehören Psoriasis, Morbus Crohn und rheumatische Erkrankungen. Manche Elemente der Immunabwehr reagieren auf jeden Erreger unspezifisch in der immer gleichen Weise, daher bezeichnet man diese angeborene Immunität auch als unspezifische Immunität. Im Unterschied dazu lernen andere Teile des Immunsystems erst im Laufe eines Lebens, Krankheitserreger zu beseitigen. Diesen Teil des Immunsystems bezeichnet man daher als adaptive oder erworbene Immunität (Abb. 2). Diese Form bietet aufgrund der Bildung eines immunologischen Gedächtnisses einen stärkeren Schutz gegen eine erneute Infektion, man bezeichnet sie auch als spezifische Immunität. Darüber hinaus ist ein weiteres Gliederungskriterium, ob Immunzellen an der Reaktion beteiligt sind (zelluläre Immunität) oder sezernierte Moleküle (humorale Immunantwort).

Effekte auf das Hormon- und Nervensystem

Das menschliche Hormonsystem wird in erster Linie über die Hypothalamus-Hypophyse-Gonaden(HHG)- oder Hypothalamus-Hypophyse-Nebenniere(HHN)-Achse gesteuert. Und in diese Regulation können Zytokine eingreifen, das ist z. B. für IL-6, IL1- lß, IL-2, TNF-α und IFN-y bekannt. So kann IL-6 zu erhöhten Spiegeln von ACTH (adreno­kortikotropes Hormon) im Plasma führen. Umgekehrt werden Glukokortikoidsignalübermittlungswege an ver­schiedenen Punkten durch proin­flammatorische Zytokine unterbrochen – in Form von negativen ­Rück­kopplungsschleifen, die einen Schaden durch die Immunaktivierung verhindern. Die Glukokortikoide im Blut steigen dann an, wenn die Entzündung zunimmt. Da das Hormonsystem wiederum eng mit dem Nerven­system verknüpft ist, gibt es mannigfaltige und komplexe Interaktionen zwischen Immunsystem, Hormonsystem und Nervensystem. Während die HHN-Achse des endokrinen Systems bedeutende immunsuppressive Wirkungen hat, ist sie genauso wichtig für die Produktion von Adrenalin, das für die akute Stressantwort wichtig ist und damit auch an der Aktivierung von Entzündungsprozessen beteiligt ist. Die Steuerungsmechanismen innerhalb und zwischen den Systemen sind zahlreich und sorgen dafür, dass alles im Gleichgewicht bleibt. Geht die Regulationsfähigkeit verloren, ist in der Regel eine Krankheit die Folge. Der Makrophagen-Migrations-Inhibitions-Faktor (MIF) war das erste Zytokin, das vor rund einem halben Jahrhundert entdeckt wurde. Benannt wurde es nach seiner Fähigkeit, Makrophagen an einem Entzündungsherd zurückzuhalten. Seitdem hat man aber viele weitere Funktionen entdeckt. Letztlich sorgt der MIF im Zusammenspiel mit den Glukokortikoiden dafür, dass die aktivierenden und suppressiven Effekte der Glukokortikoide auf die Immunantwort fein abgestimmt werden. Die Stimulation der HHN-Achse durch Zytokine ist ein wesentlicher Aspekt der Entzündungsreaktion. Durch eine negative Rückkopplungsschleife ist gewährleistet, dass die möglicherweise schädlichen Effekte einer Entzündung eingegrenzt werden. Man nimmt heute an, dass chronische Entzünd­un­gen – hervorgerufen durch eine gesteigerte Aktivität angeborener Immunreaktionen – für viele Erkrankungen verantwortlich sind. Dazu gehören kardiovaskuläre Störungen, Diabetes und Adipositas. Diese wiederum treten häufig zusammen mit einer Depression auf. Auch bei medizinisch gesunden Patienten, die unter einer Depression litten, wurde im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen eine erhöhte Aktivierung inflammatorischer Signale nachgewiesen. Zu den häufigsten Befunden bei der Depression gehören erhöhte Serum- oder Plasmakonzentrationen von IL-6 und TNF-α. Die „Zytokinhypothese“ der Depression postuliert einen kausalen Zusammenhang zwischen erhöhten proinflammatorischen Mediatoren und der Entstehung von depressivem Verhalten. Solche proinflammatorischen Prozesse können auch zum Zusammenhang zwischen Stress und Depression beitragen. Eine gesteigerte Produktion proinflam­ma­torischer Zytokine im Blut kann in der Folge zentralnervöse Zytokinsysteme aktivieren.

Zytokine und Krebs

Auch vielen Arten solider Tumoren liegen inflamma­torische Prozesse zugrunde. Obwohl Makrophagen hauptsächlich zum Tumorort gelockt werden, um eine gegen die Tumorzellen gerichtete zelluläre Immunantwort zu begünstigen, wechseln sie in Gegenwart eines proinflammatorischen Tumormikromilieus häufig von einem phagozytierenden zu einem proinflammatorischen Phänotyp. Dieser Makrophagenphänotyp produziert Moleküle, die neben der Förderung von Angiogenese und Invasion die Inflammation weiter verstärken. Während einer Krebserkrankung könnte chronischer Stress daher über die Förderung der Entwicklung inflammatorischer Prozesse eine Krebsprogression begünstigen. Die Dysregulation von Mechanismen, die proinflammatorische Zytokine kontrollieren, kann darüber hinaus unmittelbare Auswirkungen auf die Lebensqualität haben. So können inflammationsassoziierte Prozesse durch die Störung der Wundheilung Einfluss auf die Regeneration der Patienten nach einer Krebsoperation haben. Psychoonkologen untersuchen deshalb den Zusammenhang zwischen immunologischen Mechanismen und dem Krankheitsprogress. Spätestens mit der Entdeckung der Immuncheckpoints und der Markteinführung der Checkpoint-Inhibitoren ist die Immuntherapie als Bestandteil der Systemtherapie neben den Zytostatika und den zielgerichteten Therapien aus der Onkologie nicht mehr wegzudenken. Und eine der großen Herausforderungen ist es herauszufinden, warum etwa 20–30 % der Patienten mit einer dauerhaften Remission des Tumors reagieren und die Mehrheit gar nicht. Fakt ist, dass Zytokine dabei eine wichtige Rolle spielen. Auch die Gentherapie, etwa mit CAR-T-Zellen, ist immunologisch von großem Interesse. Denn ein Zyto­kinsturm ist eine potenziell lebensgefährliche Entgleisung des Immunsystems, die bei gentherapeutischen Eingriffen häufig ist. Vermutlich durch eine extreme Empfindlichkeit des Immunsystems gegenüber bestimmten Proteinen getriggert, schütten T-Zellen und Makrophagen ungebremst Zytokine wie TNF-α, Interleukin-1 oder Interleukin-6 aus, die im Gewebe eine massive Entzündungsreaktion hervorrufen.

Literatur beim Autor

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