Schädigungen von Nervenfasern im zentralen Nervensystem (ZNS) führen oft zu lebenslangen, schwerwiegenden Behinderungen. Eine Entdeckung von Forschern der Ruhr-Universität Bochum (RUB) könnte die Unfähigkeit zur Heilung teilweise erklären und ggf. Ansätze für neue Medikamente liefern. Als Ursachen für die Regenerationsunfähigkeit verletzter Nerven im ZNS machte man bisher die unzureichende Aktivierung eines Regenerationsprogramms in verletzten Nervenzellen, die das Faserwachstum anregen, die Bildung einer Narbe, die für Nervenfasern nur schwer zu durchdringen ist, sowie eine hemmende Wirkung von Nervenproteinen auf nachwachsende Nervenfasern verantwortlich. Da bisherige therapeutische Ansätze, die diese Aspekte berücksichtigten, nicht zu Erfolgen führten, wurde weiter nach Ursachen gesucht. Die Wissenschaftler der RUB identifizierten im Zuge dessen am Modell des Sehnervs das Chemokin CXCL12 als Hindernis. Das Protein wird an der Verletzungsstelle im Nerv freigesetzt. Da es aber auf Axone chemoattraktiv wirkt, hält es diese an der verletzten Stelle fest. Die Forscher konnten beobachten, dass einige Fasern, die bereits über die Verletzungsstelle hinweg regeneriert waren, sogar wieder zurück zur Verletzungsstelle wuchsen. Wurde CXCR4, der Rezeptor für CXCL12, in den Nervenzellen der Netzhaut eliminiert, führte dies zu einem stark gesteigerten Faserwachstum in den verletzten Sehnerven, und deutlich weniger Axone wuchsen zur Verletzungsstelle zurück. Des Weiteren fanden die Bochumer heraus, dass etwa 8% der Nervenzellen in der Netzhaut CXCL12 produzieren, es entlang ihrer Fasern zur Verletzungsstelle transportieren und dort aus den durchtrennten Axonen freisetzen. Warum einige Nervenzellen CXCL12 und andere CXCR4 bilden, bleibt unklar. Eine Unterbindung der Interaktion von CXCL12 und seinem Rezeptor auf den Nervenfasern stellt aber einen Ansatzpunkt für die Entwicklung neuer Pharmaka zur Therapie von Nervenschädigungen dar.
Pressemitteilung der Ruhr-Universität Bochum, Mai 2021
Originalliteratur: Hilla AM, PNAS 2021; doi:10.1073/pnas.2016409118