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Grundlagenforschung

7.200 Gensegmente: Der genomische Unterschied zwischen Mensch und Tier

18.7.2022

Wie 7.200 wenig erforschten Sequenzen aus dem menschlichen Genom in die bestehende Genomdatenbank integriert werden können, hat ein internationales Forschungskonsortium vorgeschlagen. Ein Großteil der Gene kodiert möglicherweise für Proteine und könnte erklären, was den Menschen von anderen Tieren unterscheidet.

Im Rahmen des Humangenomprojekt (1990-2003) wurde das Erbgut des Menschen vollständig entschlüsselt. Dabei zeigten sich unerwarteterweise nur 20.000 Gene, die Proteine produzieren (das sind nur etwa doppelt so viele Gene wie von einer Fliege). Forscher aus 20 Institutionen weltweit haben nun mehr als 7.200 weitgehend unerforschte Genabschnitte zusammengefasst, die möglicherweise für neue Proteine kodieren. Sie haben dabei eine neue Technologie eingesetzt, die die proteinproduzierende Maschinerie in den Zellen im Detail untersucht, um mögliche Proteine beim Menschen zu finden. In einer publikationsbegleitenden Pressemitteilung wird vermutet, dass das Humangenomprojekt mit all seinen Bemühungen, die menschlichen Gene zu beschreiben, erst der Anfang war, wie die neue Studie nahelegt.

In den letzten Jahren wurden Tausende, häufig sehr kleine „Open Reading Frames“ im menschlichen Genom entdeckt. Das sind Abschnitte im Erbgut, die Bauanleitungen für Proteine enthalten könnten. Mehrere Autoren der aktuellen Studie haben in der Vergangenheit bereits ORFs gefunden und darüber publiziert, z. B. neue Mini-Proteine im menschlichen Herzen beschrieben. Keine dieser bislang nahezu unerforschten Segmente tauchten jedoch daraufhin in Referenzdatenbanken auf. Viele andere neu entdeckte Sequenzen, die Forschende weltweit z. B. in „Science“ oder „Nature Biochemical Biology“ beschrieben, blieben ebenfalls für den größten Teil der wissenschaftlichen Gemeinschaft unsichtbar - obwohl belegt ist, dass sie RNA-Moleküle produzieren, die daraufhin an die Proteinfabriken der Zelle, die Ribosome, binden.

Traditionell haben Wissenschaftler proteinkodierende Abschnitte in Genen identifiziert, indem sie DNA-Sequenzen von mehreren Spezies miteinander verglichen. Denn die wichtigsten kodierenden DNA-Sequenzen blieben im Laufe der Evolution von Tieren erhalten. Mit dieser Methode fielen jedoch kodierende Sequenzen durchs Raster, die relativ jung sind, die also erst während der Entwicklung von Primaten entstanden sind. Sie fehlen in den Datenbanken.

Nun galt es also, die wenig beachteten ORFs in die größten Referenzdatenbanken zu integrieren, denn bislang musste man in der Literatur gezielt nach ihnen suchen, wenn man sie erforschen wollte. In einem ersten Schritt sammelte das internationale Forschungsteam Informationen zu Sequenzen, die mit dem „Ribosom-Profiling“ neu entdeckt wurden - diese Methode ermittelt, mit welchem Teil der Boten-RNA (mRNA) das Ribosom interagiert. Danach fügten sie die Daten zu einem standardisierten Satz zusammen. Dies war eine Herausforderung, denn Daten aus unterschiedlichen Laboren, die auf verschiedenste Weisen gewonnen wurden, können nicht einfach so miteinander kombiniert werden. Sobald dies geschafft war, beschäftigte sich das internationale Konsortium mit zentralen Fragen, die unsere Vorstellung vom menschlichen Genom prägen: Was ist ein Gen? Was ist ein Protein? Brauchen wir flexible Vorstellungen davon, ob Ribosomen immer ein Protein produzieren oder vielleicht auch ein ganz anderes zelluläres Signal?

Die Gruppe will nun die Humangenom-Datenbanken überarbeiten, die Forscher weltweit nutzen. Ensembl-GENCODE richtet den ORF-Katalog als Bestandteil ihrer Referenz-Annotation-Datenbank ein, viele weitere wie UniProt, HGNC, PeptideAtlas and HUPO sollen folgen. „Unsere Forschung bringt das Verständnis des genetischen Aufbaus und der vollständigen Anzahl der Proteine im Menschen einen großen Schritt voran“, sagt

Dr. Sebastiaan van Heesch vom Prinses Máxima Centrum in den Niederlanden, einer der Studienleiter. „Es ist ungeheuer spannend, die Forschungsgemeinschaft mit unserem Katalog zu unterstützen. Wir können zwar jetzt noch nicht sagen, dass alle neuen Sequenzen wirklich menschliche Proteine repräsentieren. Fest steht jedoch, dass ein großer Teil des menschlichen Genoms noch unerforscht ist und die Welt dies zur Kenntnis nehmen sollte“.

„Die meisten der 7200 ORFs aus unserem Katalog gibt es nur bei Primaten und stellen möglicherweise evolutionäre Neuerungen dar, die einzigartig sind für unsere Spezies,“ sagt Dr. Jorge Ruiz-Orera vom Berliner Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC). „Vielleicht verraten sie mehr darüber, was den Menschen wirklich ausmacht.“

Pressemitteilung Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC), Berlin & Prinses Máxima Centrum voor kinderoncologie, Utrecht (NL) & Europäisches Bioinformatik-Institut, Hinxton (UK) (EMBL-EBI) , Juli 2022
* Mudge JM et al.; Nat Biotechnol. 2022 Jul 13 (DOI 10.1038/s41587-022-01369-0).

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