Die mitteleuropäische Zeit (MEZ) orientiert sich an der mittleren Sonnenzeit auf dem 15. Längengrad Ost (das entspricht in etwa der Grenze zwischen Deutschland und Polen). Für westlich liegende Länder in der MEZ-Zone bedeutet dies – vor allem während der Zeitverschiebung im Sommer, wenn die mitteleuropäische Sommerzeit (MESZ) in Kraft tritt und die Uhren um eine Stunde nach vorne gestellt werden – dass gesetzliche Zeit und wahre Ortszeit immer weiter auseinanderweichen. So erreicht die Sonne im spanischen Santiago di Compostela im Hochsommer erst gegen 14:41 Uhr Ortszeit ihren höchsten Stand, die gesetzliche Zeit liegt also 161 Minuten vor der wahren mittleren Sonnenzeit.
Nicht nur Pilger auf dem Jakobsweg nach Santiago di Compostela, sondern auch rund sechs Millionen Touristen reisen jährlich in die attraktive nordwestspanische Urlaubsregion Galicien. Und diese sollten sich, wie z. B. der Berufsverband der Deutschen Dermatologen (BVDD) empfiehlt, zur Mittagszeit (zwischen 11 und 15 Uhr) möglichst der Sonne fernhalten, weil dann der UV-Index und somit die Sonnenbrandgefahr am höchsten seien. Ab 15 Uhr jedoch, wenn also für die Sonnenhungrigen – nach gesetzlicher Zeit – Entwarnung angesagt ist, steht in Galicien die Sonne erst im Zenit. Online-Infos auch zur Sonnenzeit vor Ort gibt die Website https://time.is/de/ (Beispiel https://time.is/de/Santiago%20de%20Compostela).
Ebenso von Bedeutung ist dieses Zeitdilemma hinsichtlich der zirkadianen Rhythmen des Körpers, die im Wesentlichen von der Sonnenzeit gesteuert werden. So ist heute klar, dass die Effekte von etwa fünf Prozent aller Medikamente durch die zirkadiane Rhythmik gesteuert werden [1, 2]. Die Regeln zur Medikamenteneinnahme folgen jedoch der gesetzlichen Zeit. Auch eine Vielzahl von Erkrankungen folgen einer zirkadianen Rhythmik, was aus Sicht britischer Soziologen ein chronobiologisches Umdenken sowohl in der klinischen Forschung als auch der Behandlung von Menschen erfordern würde. Auf die Folgen der lebensstilbedingten, oftmals pathogenen Chronodisruption sollte, so fordern sie, eine neue „Chronopolitik“ angemessene Antworten finden.
1 Williams SJ, Sociol Health Illn. 2021 Jul 13; DOI: 10.1111/1467-9566.13324 | PMID 34254324
2 Tamai TK et al., EMBO Mol Med 2018