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Onkologie

Onkologie-Wissen

Metastasen – die lebensgefährlichen Ausreißer

Dr. rer. nat. Reinhard Merz

Schätzungen zufolge gehen 90 % aller Krebstodesfälle auf das Konto von Metastasen. Denn wenn sich der Krebs erst einmal im Körper verbreitet hat, ist er in der Regel nicht mehr heilbar. Wir werfen einen Blick auf den weiten Weg einer Zelle vom normalen Gewebe zur tödlichen Metastase.

Krebszellen entstehen aus gesunden Zellen des Körpers, deren Verhalten sich grundlegend geändert hat:

• Sie wachsen und teilen sich in Situationen, in denen sie es eigentlich nicht tun sollten.

• Sie altern und sterben nicht zu der für sie vorgesehenen Zeit.

• Sie können ihren angestammten Platz im Gewebe verlassen und an anderen Orten im Körper weiterwachsen.

Gutartige (benigne) Tumoren wachsen vergleichsweise langsam und zeigen exakte Tumorgrenzen wie Hüllen oder Kapseln. Sie verdrängen das umgebende Gewebe „zerstörungsfrei“ und dringen nicht in Blutgefäße ein. Sie sind in der Regel durch operative Entfernung heilbar. In diese Gruppe gehören z. B. Myome, Wucherungen der Gebärmuttermuskulatur. Bösartige (maligne) Tumoren wachsen häufig schnell und weisen unklare oder keine Tumorgrenzen auf. Sie wachsen in das umgebende Gewebe hinein, dringen in Blutgefäße ein und bilden schließlich Metastasen – „Niederlassungen“ des Ursprungstumors in anderen Geweben.

Die Schritte der Transformation

Gesunde Zellen können normalerweise außerhalb des Gewebes, zu dem sie gehören, nicht überleben. Sie sterben ab, wenn sie den Kontakt zu ihren Nachbarzellen verlieren und werden vom Immunsystem attackiert, wenn sie in die Blut- oder Lymphbahnen gelangen. Manche Krebszellen verändern sich jedoch so weit, dass sie diesen Kontrollen entgehen. Wie das geschieht, sehen wir uns am Beispiel von Gebärmutterhalszellen an.

Gebärmutterhalskrebs als Modell

Es handelt sich hierbei um Zellen eines Plattenepithels, die sich zunächst in kleinen Schritten morphologisch verändern. Diese maligne Transformation (Abb.) wird im Rahmen der Früherkennungsuntersuchung für Gebärmutterhalskrebs untersucht. Denn durch die Abstriche lässt sich bei einer zytogenetischen Untersuchung feststellen, ob und wie weit sich Zellen schon verändert haben. Im gesunden Platten­epithel teilen sich nur die an die Basalmembran angrenzenden Zellen. Zu den höheren Zellschichten hin werden die Zellen flacher und verlassen schließlich den Zellverband. Der Übergang vom normalen Epithel zum Krebsgewebe ist durch eine zunehmend geringere Differenzierung der Zellen gekennzeichnet. Die erste sichtbare Veränderung ist die Hyperplasie, in der das Epithel verdickt und die Anzahl der sich teilenden Zellen (Mitosen) vermehrt ist. Über das Stadium der Dysplasie (Mitosen auch in Zellschichten oberhalb der basalen Zellschicht, viele davon morphologisch verändert) kann ein Carcinoma-in-situ (CIS) entstehen. Dort enthalten alle Zellschichten unreife und sich teilende Zellen, im Gegensatz zu einem Karzinom ist die Basalmembran aber noch intakt (Abb.). Bis zu diesem Stadium kann der Tumor operativ meist vollständig entfernt werden.

Die Schritte der Invasion

Wenn sich die Zellen weiter munter teilen, stehen sie vor einem Problem. Denn ab einer bestimmten Größe sinkt die Sauerstoffversorgung der Zellen im Tumor immer weiter und erreicht irgendwann eine kritische Grenze: Ab einem Durchmesser von etwa einem Millimeter ist ein Tumor auf eine zusätzliche Versorgung angewiesen. Um in Gebiete mit besserer Sauerstoffversorgung zu gelangen, wandern Tumorzellen in das umgebende Bindegewebe ein (Invasion). Dabei können sie aktiv Bestandteile des Bindegewebes abbauen (Destruktion). In invasiv wachsenden Karzinomen beobachtet man Tumorzellnester, die sich aus dem Zellverband gelöst haben. Voraussetzung hierfür ist der Verlust der Zell-Zell-Adhäsion, die für den normalen Zusammenhalt des Epithels verantwortlich ist. Sobald die Tumorzellen die Basalmembran durchbrechen, erfüllen sie ein wesentliches Definitionskriterium maligner Tumoren. Um sich mit Sauerstoff und Nährstoffen zu versorgen, veranlasst der Tumor durch das Ausschütten von Wachstumsfaktoren die Ausbildung neuer Blutgefäße (Angiogenese). Das Eindringen von Tumorzellen in Lymph- und/oder Blutgefäße ist der erste Schritt zur Metastasierung. Oft dringen Tumorzellen zunächst in die Lymphabflusswege ein und setzen sich in den regionären Lymphknoten fest. Das ist der Grund, warum man bei vielen Krebsoperationen (z. B. beim Mammakarzinom) die umliegenden Lymphknoten auf Spuren von Tumoren untersucht.

Die Reise in der Blutbahn

Über die Lymphabflusswege oder auch über infiltrierte Blutgefäße gelangen die Tumorzellen schließlich in die Blutbahn. Dort warten neue Herausforderungen. Zum einen brauchen Zellen, die üblicherweise im Verband wachsen, wie Epithelzellen, Kontakt zu anderen Zellen oder zur Basalmembran. Wenn sie den verlieren, wird in der Regel das Programm für Apoptose (Zelltod) ausgelöst. In Tumorzellen, die in der Blutbahn überleben, müssen daher Mechanismen zum Schutz gegen Apoptose aktiv sein. Wenn ihnen das gelingt, können sie in der Blutbahn überleben und dann in ein anderes Gewebe eindringen. Oft ist das die Lunge, und über eine Anheftung (Adhärenz) ­entern die Tumorzellen dann das Endothel – die ­Gewebeschicht, welche die Kapillaren auskleidet (Extravasation). Von dort invadieren sie das Gewebe des betreffenden Organs. Die Tumorzelle teilt sich dort und wächst zu einer Metastase heran. Wo sich Metastasen bilden, hängt von den Eigenschaften der Tumorzellen und den Bedingungen im Zielgewebe ab. Und Metastasen können vor allem zu ganz unterschiedlichen Zeitpunkten einer Krebserkrankung festgestellt werden: Bei manchen Betroffenen sind bereits bei der ersten Diagnose Metastasen vorhanden. Typische Beispiele sind das Lungen­karzinom oder das Ovarialkarzinom, die lange ohne spürbare ­Beschwerden wachsen. Bei anderen Tumor­arten entstehen sie während der Behandlung, bei noch anderen erst Jahre nach der Beseitigung des ursprünglichen Tumors.

Die pathologische Einteilung von Tumoren

Der Zustand der Metastasierung spielt auch eine wichtige Rolle bei der histopathologischen Klassifikation von Tumoren. Sie setzt sich zusammen aus Informationen über das Herkunftsgewebe eines Tumors (Typing), die Reife von Zellen und Geweben (Grading) und die Ausbreitung (Staging). Die Ausbreitung eines Tumors wird durch die TNM-Klassifikation erfasst, die von der „Union internationale contre le cancer (UICC)“ (www.uicc.org) eingeführt wurde und als Grundlage für Diagnose, Therapie und Prognose dient. Die wichtigsten Kriterien sind

• Tumorgröße „T“ (T1–T4),

• Streuung der Tumorzellen in regionäre Lymphknoten „N“ (engl. sentinel lymph nodes, N0–N2),

• Metastasierung „M“ in entfernt liegende Organe (M0 oder M1).

Ein kleiner Tumor, der in wenige nahe Lymphknoten metastasiert hat und bei dem keine Fernmetastasen nachweisbar sind, wird demnach als T1 N1 M0 klassifiziert, ein weit fortgeschrittener Tumor mit vielen betroffenen Lymphknoten und Fernmetastasen als T4 N2 M1.

Bildnachweis: Christoph Burgstedt, calvindexter (iStockphoto); privat

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