Adipositas ist ein Risikofaktor für verschiedene gynäkologische Krankheitsbilder. Eine Gewichtsabnahme ist für die Patientinnen mit einem großen gesundheitlichen Nutzen verbunden. Mit Tirzepatid (Mounjaro®)a,b [1] steht ein Medikament zur Verfügung, das in der Zulassungsstudie SURMOUNT-1c eine durchschnittliche Gewichtsreduktion von 22,5 %d,e erzielte, die über mehr als drei Jahre anhielt [2,3].
Etwa ein Fünftel aller erwachsenen Frauen in Deutschland weist eine Adipositas auf, definiert als Body-Mass-Index(BMI-)Wert ab 30 kg/m2 [4]. Wurde Adipositas früher oft als selbstverschuldete Lifestyle-Erkrankung abgetan, so wird sie heute als eine komplexe, multifaktorielle und chronische Krankheit verstanden, die für eine Vielzahl von Begleit- und Folgeerkrankungen verantwortlich ist [5].
Adipositas bei jüngeren Frauen
Adipositas ist ein zentraler Risikofaktor für endokrine Störungen, wie Infertilität, Zyklusstörung und Androgenisierung [6]. So liegt bei Frauen mit dem polyzystischen Ovarsyndrom (PCOS) die Prävalenz für Adipositas oder Übergewicht bei 61 %, und es besteht ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko [7]. Auch haben Frauen mit Adipositas oder Übergewicht, insbesondere bei bestehendem PCOS, ein erhöhtes Risiko für Unfruchtbarkeit und geringere Erfolgsraten bei der assistierten Reproduktion hinsichtlich Empfängnis und Lebendgeburten [7].
Bereits eine Gewichtsreduktion von 5–10 % hat nicht nur einen positiven Effekt auf das metabolische Syndrom, sondern kann bei PCOS-Patientinnen auch die Fertilität verbessern [8]. Frauen mit Übergewicht oder Adipositas und PCOS sollten daher 5–15 % oder mehr an Gewicht verlieren, um Hyperandrogenismus, Oligomenorrhö, Anovulation, Insulinresistenz und Hyperlipidämie entgegenzuwirken [9]. Die Fruchtbarkeit dieser Frauen kann durch Gewichtsreduktion verbessert werden. Dabei sollte ein Gewichtsverlust von ≥ 10 % angestrebt werden, um die Wahrscheinlichkeit einer Empfängnis und Lebendgeburt zu erhöhen [7].
Auch die Kontrazeption wird durch einen erhöhten BMI-Wert erschwert. So ist ab einem Alter von 35 Jahren und einem BMI > 30 kg/m2 die Anwendung von kombinierten oralen Kontrazeptiva aufgrund des erhöhten Thromboserisikos kontraindiziert [10].
Adipositas bei älteren Frauen
Bei älteren Frauen stehen Stoffwechselstörungen wie das metabolische Syndrom oder daraus folgend kardiovaskuläre Erkrankungen im Vordergrund, die sich langfristig aus Adipositas und Übergewicht entwickeln können [11]. Zudem erhöht Adipositas das Risiko bestimmter gynäkologischer Karzinome, wie das Auftreten eines Endometriumkarzinoms bei Patientinnen mit PCOS [12]. Bis zu 50 % der Frauen, die postmenopausal Brustkrebs entwickeln, sind gleichzeitig an Adipositas erkrankt [13]. Auch in diesen Fällen lohnt sich eine Gewichtskontrolle, um den Risiken nach Möglichkeit vorzubeugen. So führte bei Frauen über 50 Jahre eine anhaltende Gewichtsreduktion von mindestens 13 % zu einer Verringerung des Brustkrebsrisikos um 32 % [14].
Wie gelingt die Adipositas-Therapie?
Grundlage jeder Adipositas-Behandlung sind Lebensstiländerung, wie eine kalorienreduzierte Diät, Bewegung und Verhaltenstherapie [5]. Eine Gewichtsreduktion wäre für viele gynäkologische Patientinnen vorteilhaft, wird aber unter Umständen durch physiologische Vorgänge des Körpers erschwert. So kommt es nach Gewichtsabnahme zu Stoffwechselanpassungen mit hormonellen Veränderungen, die oft in einem verringerten Energieverbrauch resultieren, sowie zu erhöhtem Appetit auf kalorienreiche Nahrung und einem verminderten Sättigungsgefühl [15]. Der „Jo-Jo-Effekt“ ist ein häufiges und wiederkehrendes Frustran, sodass viele Patientinnen trotz des starken Wunsches nach Gewichtskontrolle ihre Ziele nicht erreichen. Daher führen alleinige Anpassungen des Lebensstils meist nur zu begrenzten Therapieerfolgen [5].
Tirzepatid aktiviert als einziges Medikament die Rezeptoren der beiden Darmhormone GIP (glucoseabhängiges insulinotropes Polypeptid) und GLP-1 (Glucagon-like-Peptide-1) [1]. GIP und GLP-1 besitzen neben ihrer Funktion im Dünndarm auch Wirkeffekte auf die Gewichtskontrolle. Sie regulieren die Fettansammlung über direkte Wirkungen auf Fettgewebe, Gehirn und Magen. Wie GLP-1-Rezeptor-Agonisten (RA) hemmt Tirzepatid den Hunger, verstärkt die Sättigung und stimuliert die Insulinsekretion. Die Aktivierung der GIP-Rezeptoren macht einen deutlichen Unterschied, denn anders als GLP-1 aktiviert GIP auch Rezeptoren auf Adipozyten und wirkt damit auf das weiße Fettgewebe und den Lipidstoffwechsel [16].
Viele vorteilhafte Effekte
Tirzepatid führte in der Zulassungsstudie SURMOUNT-1 zu einer Gewichtsreduktion von durchschnittlich 22,5 %d, e, siehe Abb. [1,2]. Die Wirksamkeit blieb auch in der Langzeitanwendung über 176 Wochen erhalten [3]. Unter Tirzepatid reduzierte sich die Gesamtfettmasse um 33,9 %, was mit der Verringerung des viszeralen Fetts einherging [2].f Daneben verbesserten sich auch kardiometabolische Risikofaktoren unter Tirzepatid, darunter Blutdruck, Taillenumfang und Parameter des Lipidstoffwechsels und der Glucosekontrolle [1,2].g Zudem zeigen sich günstige Effekte auf Folgeerkrankungen: So kehrten in einer Studie bei Menschen mit Adipositas und Prädiabetes fast 95 % unter Tirzepatid zur Normoglykämieh zurück [3]. Tirzepatid besitzt ein ähnliches Nebenwirkungsprofil wie GLP-1-RA [1,2]. Am häufigsten wurden gastrointestinale Nebenwirkungen berichtet, wie Übelkeit, Erbrechen und Diarrhö sowie Verstopfung. Im Allgemeinen waren diese Reaktionen meist leicht oder moderat, traten häufiger während einer Dosissteigerung auf und nahmen mit der Zeit ab [1,2].
Tirzepatid bei Kinderwunsch, Schwangerschaft und Stillzeit
Tirzepatid wird während der Schwangerschaft und bei Frauen im gebärfähigen Alter, die keine Kontrazeptiva anwenden, nicht empfohlen. Bei Kinderwunsch oder Schwangerschaft sollte Tirzepatid abgesetzt werden [1]. Unter Berücksichtigung des Nutzens des Stillens für das Kind und des Nutzens der Therapie für die Frau muss entschieden werden, ob das Stillen beendet oder die Tirzepatid-Therapie abgesetzt werden soll.
Tirzepatid ermöglicht bei Menschen mit Adipositas eine Gewichtsreduktion von durchschnittlich 22,5 %d, e über mindestens drei Jahre [1,2]. Damit kann Tirzepatid dabei unterstützen, die zur Vorbeugung von adipositasassoziierten Folgeerkrankungen empfohlene Gewichtsreduktion zu erreichen und könnte in der gynäkologischen Praxis zukünftig einen entscheidenden Beitrag liefern.
a Tirzepatid ist angezeigt zur Behandlung von Erwachsenen mit unzureichend eingestelltem Typ-2-Diabetes als Ergänzung zu Diät und Bewegung als Monotherapie, wenn die Einnahme von Metformin wegen Unverträglichkeiten oder Kontraindikationen nicht angezeigt ist, zusätzlich zu anderen Arzneimitteln zur Behandlung von Diabetes mellitus sowie als Ergänzung zu einer kalorienreduzierten Diät und erhöhter körperlicher Aktivität zum Gewichtsmanagement, einschließlich Gewichtsabnahme und Gewichtserhaltung, bei Erwachsenen mit einem Ausgangs-BMI von ≥ 30 kg/m2 (Adipositas) oder ≥ 27 kg/m2 bis < 30 kg/m2 (Übergewicht) bei Vorliegen mindestens einer gewichtsbedingten Begleiterkrankung (z. B. Hypertonie, Dyslipidämie, obstruktive Schlafapnoe, Herz-Kreislauf-Erkrankung, Prädiabetes oder Typ-2-Diabetes mellitus) [1].
b WHO ATC-Code: A10BX16.
c Die Studie SURMOUNT-1 schloss 2 539 Erwachsene mit Adipositas (BMI-Wert ≥ 30 kg/m2) oder Übergewicht (BMI-Wert ≥ 27 kg/m2 bis
< 30 kg/m2) mit mindestens einer gewichtsbedingten Komorbidität (ausgenommen Typ-2-Diabetes) ein [1,2]. Alle Studienteilnehmenden erhielten eine Lebensstilintervention, einschließlich kalorienreduzierter Ernährung und gesteigerter körperliche Aktivität [2].
d Prozentuale Gewichtsreduktion vom Ausgangsgewicht unter Tirzapatid 15 mg nach 72 Wochen. Unter Placebo Gewichtsreduktion um 2,4 % (-2,4 kg) in diesem Zeitraum. Bei kalorienreduzierter Ernährung und erhöhter körperlicher Aktivität [1,2].
e p < 0,001 im Vergleich zum Ausgangswert, nicht multiplizitätsadjustiert.
f Gepoolte Daten aus den drei Dosisgruppen von Tirzepatid 5 mg, 10 mg und 15 mg und Analyse von 160 aus 255 Teilnehmenden einer Untergruppe, die zu Studienbeginn und in Woche 72 auswertbare Daten vorwiesen [2]. Bei der fettfreien Körpermasse zeigte die gepoolten Tirzepatid-Gruppen eine Reduktion um 11 % gegenüber 3 % unter Placebo [2].
g Der Wirksamkeits-Estimand für die Einzeldosen wurde mit Ausnahme des Taillenumfangs bei Tirzepatid 10 mg und 15 mg nicht multiplizitätsadjustiert [2].
h HbA1c-Wert = 5,7–6,4 % bzw. Nüchternglucose = 100–125 mg/dl (5,6–6,9 mmol/l) bzw. 2h-OGTT = 140–199 mg/dl (7,8–11,0 mmol/l) [3].
Impressum
Bericht, Redaktion und Konzept: Dr. rer. nat. Reinhard Merz
MiM Verlagsgesellschaft mbH (Neu-Isenburg)
Mit freundlicher Unterstützung der Lilly Deutschland GmbH (Bad Homburg)
Bildnachweis: privat