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Kongress-Ticker

BERLIN - FEBRUAR 2020

34. Deutscher Krebskongress

Dr. rer. nat. Reinhard Merz

30.8.2021

Alles nur Trendy Hokuspokus?

Ein heißes Eisen der gynäkologischen Onkologie fasste Prof. Dr. med. Sherko Kümmel (Essen) an. Von der Schulmedizin oft belächelt, machen viele Patientinnen von solchen Angeboten regen Gebrauch. Für Prof. Kümmel Grund genug, sich mit dem „Trendy Hokuspokus“ zu beschäftigen. „Als wir vor zehn Jahren in Essen mit solchen Methoden anfingen, war uns klar: Wir benutzen, was bewiesen ist. Und wo es keine Studien gibt, versuchen wir, welche anzuregen. Vorausgesetzt es ist bewiesen, dass es nicht schadet“, erklärte Prof. Kümmel die Rationale seiner Arbeitsgruppe. In 42 selbst initiierten Studien wurde vor allem der Einfluss solcher Methoden auf das Nebenwirkungsmanagement untersucht, etwa bei Fatigue, Diarrhoe, Obstipation oder bei Neuropathien. Kümmel betonte auch den psychologischen Aspekt solcher Anwendungen: „In der Praxis ist es sicher hilfreich, wenn die Patientin eine Vorstellung hat, was sie selbst noch tun kann, um die Therapie zu unterstützen. Ob es dann tatsächlich die Intervention war, welche die Linderung gebracht hat oder einfach die Zeit, spielt dabei keine Rolle.“ Folgende Ziele definierte er dabei für die Integrative Onkologie:
• verbessertes Nebenwirkungsmanagement
• verbesserte psychische und körperliche Fitness
• Aufbau von Resilienz
• Reduktion von Stress und Angst
• Verbesserung der Adhärenz
Ob sich aus den vielen kleinen Detailverbesserungen durch den integrativen Ansatz letztlich auch eine Verbesserung der Prognose ableiten lässt, wird in den kommenden Jahren intensiver untersucht werden.

Vortrag Prof. Dr. med. Sherko Kümmel

Digitale Therapiebegleiter

In den vergangenen Jahren hat ein neuer Ansatz Einzug in die Onkologie gehalten – auch in die gynäkologische Onkologie: Statt den Wert einer Behandlung nur in zusätzlichen Lebensmonaten zu berechnen, tritt immer mehr der Aspekt der Lebensqualität (Quality of Life, QoL) in den Vordergrund. Viele Studien nehmen daher QoL-Aspekte als Endpunkte mit auf. Doch im Gegensatz zum Gesamtüberleben ist QoL nicht einfach zu erfassen, auch wenn es in der Zwischenzeit etablierte Standardfragebögen gibt. Aus der Notwendigkeit für ein durchgehendes Patientenmonitoring sind Smartphone-Apps wie OnkoButler entstanden – ein digitales Tagebuch, welches das webbasierte Management von Gesundheitsdaten durch den Patienten ermöglicht. Das digitale Tagebuch verbessert die Behandlung auf vielfältige Weise: Zum einen wird durch das Mehr an Daten auch mehr Sicherheit und ein größerer Erfolg bei der Therapie erreicht; zum anderen eröffnet sich für die Patienten eine neue Form der Beteiligung an der Therapie ihrer Erkrankung.

Satellitensymposium „Neue Wege für den Praxisalltag durch digitale Anwendungen“ (Veranstalter: Amgen GmbH, München)

Mammakarzinom: Individualisierung der Bestrahlung

Nach einer brusterhaltenden Brustkrebsoperation schließt sich bei Patientinnen fast immer eine Strahlentherapie an. Nach aktueller S3-Leitlinie soll die gesamte verbliebene Brust bestrahlt werden, mit einer Dosis von ca. 50 Gy bei konventioneller Fraktionierung (in ca. 25–28 Fraktionen in ca. 5–6 Wochen) oder 40 Gy in Hypofraktionierung (15–16 Fraktionen in ca. 3–5 Wochen). Eine Teilbrustbestrahlung wurde bisher intraoperativ als Brachytherapie oder Bestrahlung des Tumorbettes durchgeführt. Strnad et al. hatten gezeigt, dass die Lokalrezidivrate bei Patientinnen mit frühem Brustkrebs (Stage 0, I und IIa) nach brusterhaltender Operation mit einer akzelerierten Teilbrustbestrahlung mit Brachytherapie der Ganzbrustbestrahlung nicht unterlegen ist. Auch die TARGIT-A-Studie hatte ergeben, dass bei Patientinnen mit frühem Brustkrebs eine sofortige intraoperative Einzeldosis-Bestrahlung eine Alternative – gleichwertig zur Ganzbrustbestrahlung nach OP – darstellen kann. Aus einer minimal erhöhten Rückfallrate (0,8–2 %) resultiere aber kein Überlebensnachteil, erklärte Prof. Dr. med. Wilfried Budach (Düsseldorf). Neue Studien zeigen nun, dass auch die herkömmliche perkutane Teilbrustbestrahlung der Gesamtbrustbestrahlung nicht unterlegen ist. In einer randomisierten Phase-III-Studie1 mit mehr als 4.000 Patientinnen zeigte sich nach einem medianen Follow-up von mehr als zehn Jahren bei 4 % der Patientinnen, die der Teilbrustbestrahlung unterzogen wurden, ein Progress vs. 3 % in der Gruppe mit Ganzbrustbestrahlung – statistisch nicht signifikant. Die Mortalitätsrate in beiden Gruppen war gleich (2 %). Auch in einer zweiten randomisierten Studie2 mit 2.000 Patientinnen über acht Jahre Nachbeobachtung zeigte sich nur eine leicht höhere Rückfallrate bei den Patientinnen, die eine Teilbrustbestrahlung erhalten hatten (3,0 % vs. 2,8 %), der Unterschied war nicht signifikant.  Eine 10-Jahres-Auswertung der italienischen APBIIMRT-Studie mit analogen Ergebnissen rundet das Bild ab.3 „Fazit der neuen Studien ist, dass für Patientinnen mit niedrigem Rückfallrisiko eine partielle Brustbestrahlung auch mittels perkutaner Strahlentherapie angeboten werden kann“, so Prof. ­Budach. Diese sei für Patientinnen von Vorteil, die ein erhöhtes OP-Risiko haben. „Das ‚one fits all’-Konzept hat in der Strahlentherapie ausgedient“, schloss Budach seinen Vortrag.

[1] Whelan TJ et al., Lancet 2019; 394: 2165–2172
[2] Vicini FA et al., Lancet 2019; 394: 2155–2164
[3] Meattini et al., SABCS 2019, www.abstractsonline.eom/pp8/#l/7946/presentation/1921
Pressekonferenz „Personalisierte Radioonkologie“ der DEGRO

Krebs in jungen Jahren

Jedes Jahr erkranken etwa 500.000 Menschen in Deutschland neu an Krebs, davon 17.000 Jugend­liche und junge Erwachsene im Alter von 15–39 Jahren. Langzeitüberlebende leiden häufig trotz erfolgreicher Krebsbehandlung unter Beeinträchtigungen, die sich auf die gesamte private Lebenssituation und auch auf den beruflichen Werdegang auswirken können. Dazu zählt zum Beispiel das chronische Erschöpfungssyndrom Fatigue sowie Angst und Depressionen. Psychoonkologische und andere Versorgungsangebote – etwa im Zuge von Survivorship-Programmen – sollten niederschwellig und spezifisch auf diese Altersgruppe zugeschnitten sein, fordert die Deutsche Krebsgesellschaft.

Pressekonferenz der Deutschen Krebsgesellschaft

Spahn: Gesundheitsdaten für die Onkologische Forschung nutzen

Der Deutsche Krebskongress 2020 war einer der letzten Kongresse, der vor der großen Corona-Pandemie noch stattfand. Jens Spahn war tatsächlich noch Gesundheitsminister und nicht eine Art „Verteidigungsminister“ gegen SARS-CoV-2. Neben allerlei politischem – damals galt er noch als Kandidat für den CDU-Vorsitz – ging er auch auf die elektronische Patientenakte und die Verwertung von anonymisierten Gesundheitsdaten für die Forschung ein. „Gesundheitsdaten sollen künftig stärker für die onkologische Forschung genutzt werden können“, kündigte er an, versprach gleichzeitig aber auch Augenmaß: „Ich will keinen chinesischen Ansatz.“ Und meinte damit den uneingeschränkten Zugriff des Staates auf Gesundheitsdaten. Nach seiner Ansicht ist es sinnvoll, an dieser Stelle die europäische Perspektive einzunehmen. Mit einheitlichen Regeln zur Nutzung von Versorgungsdaten in Europa, gefördert aus dem Haushalt der EU, schaffe man ein europäisches Gemeinschaftsgut, von dem alle Bürger der 27 teilnehmenden Staaten profitieren könnten. Und einen weiteren Punkt adressierte der Minister: Dass gut ein Drittel der Neubildungen in Deutschland lebensstilbedingt ist und auf Tabak, Alkohol sowie Bewegungsmangel zurückgehen, hält er für nicht akzeptabel. Er kündigte an, beim „gesamtgesellschaftlichen Ansatz eines neuen Präventionsgesetzes die Bereiche Ernährung und Bewegung ganz besonders betonen zu wollen. Und auf einem Pilotportal der Bundesregierung zu Gesundheitsthemen sollen sich Bürger neutral und unabhängig informieren können – als Zeichen gegen die allgegenwärtigen Fake News.

Vortrag Bundesgesundheitsminister Jens Spahn

Real-World-Daten zu Palbociclib

Durch die endokrin-basierte Kombinationstherapie mit einem CDK4/6-Inhibitor haben sich die Perspektiven für Patientinnen mit Hormonrezeptor-positivem (HR+), HER2-negativem (HER2-) fortgeschrittenem Mammakarzinom erheblich verbessert. Für Palbociclib liegen nun erstmals für einen CDK4/6-Inhibitor Real-World-Daten (RWD) vor. In der „Flatiron-Datenbank“ wurden 928 Patientinnen mit HR+, HER2- fortgeschrittenen Mammakarzinom und einer Erstlinientherapie aus der Palbociclib-Letrozol-Kombination oder einer Letrozol-Monotherapie 1:1 anhand von Propensity Scores und klinischer Parameter gematcht. Das Ergebnis: Im Real-World-Setting lag das mediane progressionsfreie Überleben (mPFS) unter der Palbociclib-Kombination bei 20,0 Monaten gegenüber 12,1 Monaten unter der Letrozol-Monotherapie (HR 0,55; 95%-KI 0,45−0,66; p < 0,0001). Als ein Beispiel für RWD in Deutschland stellte Dr. med. Norbert Marschner (Freiburg) erste Ergebnisse der OPAL-Tumorregisterplattform vor. Darin wird die Versorgungssituation beim Mammakarzinom über alle Therapielinien hinweg dokumentiert. Bislang sind 1.000 Patientinnen mit metastasiertem oder inoperablem Mammakarzinom rekrutiert. Insgesamt sollen bis zu 200 Zentren teilnehmen.

Pressekonferenz und Satellitensymposium „Die Therapie des metastasierten Mammakarzinoms wird individueller“ (Veranstalter: Pfizer Pharma GmbH, Berlin)

Immuntherapie beim TNBC

Die Keynote-522-Studie mit 1.174 Patientinnen mit neu diagnostiziertem Triple-negativem Mammakarzinom (TNBC) und hohem Rückfallrisiko (T1c N1-2 oder T2-4 NO-2) verglich den PD-1-Inhibitor Pembrolizumab in der neoadjuvanten Phase in Kombination mit Chemotherapie, nach der Operation, gefolgt von einer adjuvanten Pembrolizumab-Monotherapie, mit Chemotherapie plus Placebo in der neoadjuvanten Phase und Placebo in der adjuvanten Phase. Mit dem zusätzlichen PD-1-Inhibitor war die Rate an Patientinnen mit pathologischer Komplettremission (pCR-Rate) um 13,6 % höher (p = 0,00055) als unter alleiniger Chemotherapie. Subgruppendaten zeigen, dass in frühen Krankheitsstadien zwar die absolut besten pCR-Raten (73,1 % unter der Kombination, 62,1 % unter alleiniger Chemotherapie) erzielt wurden, die Patientinnen in späten Tumorstadien aber den größten Nutzen von der zusätzlichen Immuntherapie hatten, mit einem Delta von 24,6 % im Stadium IIIA und 25,6 % im Stadium IIIB.

Satellitensymposium „Was gibt es Neues bei Mammakarzinom und gynäkologischen Tumoren?“ (Veranstalter: MSD Sharpe & Dohme GmbH, Haar)

Endlich ohne humane Diagnostiker?

Durchaus provokant auch die Session „Endlich ohne humane Diagnostiker?“ Prof. Joachim Denzler (Jena) stellte die Chancen und Risiken des „Deep Learnings“ bei der Erkennung von Strukturen vor und gab sich an einigen Stellen durchaus skeptisch. Nicht nur, weil maschinelles Lernen oft eine „Black Box“ sei, von der man gar nicht wisse, wie sie zu ihren Ergebnissen kommt. Und er plädierte dafür, dass man die selbstlernenden Maschinen nicht mit den Bildern alleine lassen solle, sondern ihnen unbedingt auch das „alte“ Wissen der menschlichen Kollegen zur Verfügung stellen. Damit, so gibt sich Denzler sicher, werde das Vorgehen transparenter und damit schneller akzeptiert.

In zehn Jahren alles nur KI?
• KI wird die Befundung unterstützen
• weniger Radiologen werden mehr Bilder interpretieren
• keine Radiologoie ohne KI
• generierte Resultate werden direkt an den Kliniker gehen (mit Qualitätskontrolle durch Radiologie)

Prof. Daniel Rückert (London) zeigte Beispiele aus der diagnostischen Radiologie, wo Künstliche Intelligenz (KI) nicht nur für Diagnose und Prognose eingesetzt werde, sondern auch schon bei der Bilderstellung und -extrahierung. Er stellte verschiedene Typen von Netzwerken vor (regression networks, encoder-decoder networks, generative adversartial networks) und Beispiele aus der UK Biobank. Und endete mit der provokanten Frage: „Brauchen wir in zehn Jahren überhaupt noch Bilder? Oder werden Diagnosen dann direkt von Algorithmen aus den Rohdaten erstellt?“ Wie die Pathologie mit KI-Ansätzen umgeht, erklärte Dr. Carsten Marr vom Helmholtz-Zentrum in München anhand von statischen und mechanistischen Modellen. Nach einigen Trainingsrunden waren die Systeme seiner Arbeitsgruppe ähnlich gut wie trainierte menschliche Beobachter – hatten aber auch mit den gleichen Zelltypen ihre Probleme wie diese. Anhand von Knochenmarkausstrichen versucht man jetzt vorherzusagen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit von Vorläuferzellen ist, sich in Richtung einer chronischen oder akuten Leukämie zu entwickeln. Zum Schluss war es an Prof. Wolfgang Weber (München), die Frage zu beantworten: „In zehn Jahren – alles nur KI oder alles nur Hype?“ Er stellte einige der aktuellen Veröffentlichungen aus hochkarätigen Magazinen vor, die menschliche Auswerter und KI vergleichen – bei der Mammografie, beim Screenen nach Lungentumoren und anderen Neoplasien. Die Autorenteams bestanden in der Regel aus einem oder zwei gestandenen Radiologen und einem Dutzend Mitarbeitern von Google. Schließlich zeigte Weber anhand einer „risk replace­ment“-Matrix, dass sich Radiologen – im Gegensatz zu Wissenschaftlern oder Vertretern der sprechenden Medizin (u. a. Frauenärzte) – durchaus in der Gefahrenzone des „Ersetzwerdens“ befinden: „Will AI (artifical Intelligence) replace radiologists in the next ten years? I say the answer is no. But radiologists who use AI will replace those who don’t.”

Session „Nutzen Künstlicher Intelligenz in der morphologischen und bildgebenden diagnostischen Medizin“

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