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Allgemeinmedizin

Behandlung von Wunden

Die Zukunft der Wundversorgung wird digital

Nicole Hein

26.5.2023

Eine Wundversorgung sollte immer individuell erfolgen. Ein Goldstandard existiert nicht, denn die Gegebenheiten sind sehr vielfältig. Auch bei der Wundreinigung gibt es eine Vielzahl von Debridementverfahren, die an die Umstände angepasst werden müssen. Zukünftig werden mehr digitale Lösungen wichtig werden.

Wie sieht der heutige Goldstandard bei der Wundversorgung aus?

Leider gibt es keinen Goldstandard bei der Wundbehandlung. Die Versorgung von Wunden setzt sich aus dem Screening und der Differenzialdiagnostik zusammen. Denn erst wenn man Näheres über die Ätiologie weiß, kann die Konsequenz folgen: Nämlich sich um die Wundversorgung zu kümmern. ­Dabei sind systemische Faktoren, beispielsweise die Behebung einer koronaren Herzkrankheit (KHK), zu berücksichtigen. Zusätzlich spielen Faktoren zur lokalen Wundversorgung wie die Kompression mit eine Rolle. Außerdem ist es immer notwendig, eine eventuelle bakterielle Belastung zu eruieren. Liegt eine bakterielle Infektion vor, werden lokale oder systemische Behandlungsmöglichkeiten notwendig. Aufgrund der vielfältigen und individuellen Gegebenheiten ist eine Wundbehandlung also sehr individuell, weswegen es unmöglich ist, einen Goldstandard zu definieren.

Was ist bei der Wundspülung zu beachten?

Zeitgemäße Wundspül­lösungen sollen physiologisch, steril, farblos, nicht reizend, nicht zusätzlich schmerzerzeugend und erwärmbar sein. Ihre Aufgabe ist es, Beläge und Biofilme zu lösen – und wenn möglich, Keime, Fremdkörper sowie Zellrückstände auszuschwemmen. Sofern sich Mikroorganismen auf der Wunde befinden, sollen die Wundspüllösungen  diese ebenfalls reduzieren. Wichtig ist außerdem, auf die Einwirkzeit zu achten und darauf, inwiefern sie mit anderen lokaltherapeutischen Methodiken zur Wundauflage kombinierbar ist.

Wie sieht der aktuelle Standard bei der Wundreinigung aus?

Auch diese Frage ist sehr schwierig zu beantworten. Zur Verfügung stehen eine Vielzahl von Debridementverfahren. Da wäre zunächst das chirurgische ­Debridement, das die Entfernung von Fremdkörpern mit dem Skalpell, der Pinzette, dem Shaver oder der Ringkürette umfasst. Als nächstes ist das enzymatische Debridement zu nennen. Hier kommen vor allem biosynthetisch hergestellte ­proteolytische Enzyme zum Einsatz. Mit ihrer Hilfe wird ein Abbau von avitalem Gewebe forciert. Ihr Nachteil ist, dass sie kostenintensiv sind und eine kurze Wirksamkeit aufweisen. Darüber hinaus existiert das autolytische Debridement: Hierbei werden sich körpereigene Selbstreinigungsprozesse zu Nutze gemacht, bei denen Beläge durch Feuchtigkeit aufgeweicht und somit Abfallstoffe ausgeschwemmt werden. Die Hydrogele, die für das autolytische Debridement verwendet werden, haben einen hohen Wassergehalt und sind somit in der Lage, körpereigene Autolyse zu forcieren.

Beim biochirurgischen Debridement werden steril gezüchtete Fliegenlarven der sogenannten Goldfliege Lucilia sericata eingesetzt. Diese gibt es entweder immer noch als sogenannte Freiläufer oder auch eingeschlossen in einem sogenannten Polyesternetz. Das Vorgehen ist in der Regel folgendermaßen: Die Larven reinigen die Wunde, indem sie mit ihrem Speichelsekret, das eiweißaufspaltende Enzyme besitzt, avitales Gewebe aufweichen und ­extracorporal verdauen.

Ergänzend stehen noch weitere Debridementverfahren zur Verfügung, die weniger häufig verwendet werden. Das sind z. B. Produktketten zur osmotischen Wundreinigung, das hydrochirurgische Debridement, die Laser-Therapie (z. B. Low-Level-Lasertherapie) und im weitesten Sinne auch die Negative Pressure Wound Therapy.

Gibt es etwas bei den Wundverbänden zu beachten, dass man absolut vermeiden sollte?

Hier lohnt sich der Blick auf den Verfahrensstandard „Negativprodukte und Methoden in der Behandlung von Menschen mit chronischen Wunden“ des Wundzentrums Hamburg. Auf der absoluten Negativliste stehen: potenziell oder nachgewiesene gesundheitsgefährdende Produkte wie Quecksilber oder Teerprodukte, Off-Label-­Therapie (Herztherapeutika, Aminosäurelösungen verschiedener Prozente etc.) mit Lokal- oder ­Systemtherapeutika wie Insulin oder Arzneimittel, die bei der Nachzulassung der zehnten Novelle des Arzneimittelgesetzes ihre Verkehrsfähigkeit verloren haben.

Was für Möglichkeiten bei der lokalen Wundtherapie gibt es, wenn die Heilung stagniert?

Zunächst ist es wichtig zu schauen, in welcher Kontaminationsphase sich die Wunde befindet. Ein Biofilm wird z. B. mit der sogenannten kritischen Kolonisation assoziiert. Manche Kritiker dieses Begriffs bezeichnen ihn ebenfalls als verdeckte bzw. okkulte Infektion. Welche Bezeichnung auch gewählt wird – sobald Bakterien in einer Wunde Probleme hervorrufen, ist eine Intervention, häufig das Debridement, erforderlich. Im nächsten Schritt muss eruiert werden, ob sich systemisch oder gefäßbedingt eine Verschlechterung ergeben hat. Erst sollte selbige revidiert werden, bevor die Wundheilung beginnen kann. Sollte die bisher verwendete Wundauflage zu keinem Erfolg geführt haben, weil lokale Befunde dagegensprechen, empiehlt sich eine neue lokale Therapieform.

Wie kann die Wundversorgung in der Zukunft aussehen? Sehen Sie gewisse Trends?

Wir werden mehr mit digitalen Trends arbeiten müssen. Das werden z. B. digitale Lösungen für die Wunddokumentation sein. Außerdem werden immer mehr digitale Vermessungsmethoden kommen und vermutlich auch das Erkennen von Wundinfektionen via Fluoreszenz. Es könnte außerdem sein, dass Wundauflagen entwickelt werden, die Messdaten aufzeigen (sogenannte Smart-Dressings), beispielsweise den pH-Wert. Zudem wird derzeit im Bereich der Bakteriophagentherapie geforscht, die als Arzneimittel gegen bakterielle Infektionen dienen könnten.

Der Experte

Thomas Bonkowski
Gesundheits- und Krankenpfleger, Wundexperte ICW, Qualitäts­beauftragter, 1. Vorsitzender Verein der Freunde und Förderer der ­Pflege am Universitätsklinikum ­Regensburg, Klinik und Poliklinik für Chirurgie

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