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Onkologie

Innovative Pflegekonzepte

Onkologische Pflege am Puls der Zeit

Andrea Schäffer

Das Aufgabenspektrum des Fachpersonals in der onkologischen Pflege verändert sich stetig. Grund dafür sind immer neue Fortschritte in der Krebstherapie, aber auch gesellschaftliche Trends – so etwa das zunehmende Bedürfnis gut informierter, mündiger Patienten, die Therapieplanung am Lebensende mitzubestimmen. Bei der Versorgung von Krebspatienten gewinnen zudem psychosoziale und spirituelle Aspekte an Bedeutung.

Viele Menschen machen sich Sorgen bezüglich  einer Übertherapie am Lebensende. Chemotherapie wenige Wochen vor dem Tod oder parenterale Ernährung in der letzten Lebensphase sind Aussichten, gegen die immer mehr Menschen frühzeitig aktiv werden wollen. Tatsächlich sterben heute über 80 % der Menschen an einer chronischen Erkrankung – oftmals Krebs –, die meisten davon in medizinischer Versorgung. Bis zu 70 % der Betroffenen sind nicht mehr in der Lage, selbst zu entscheiden, und ihre Vertreter kennen die Wünsche des Sterbenden oft nicht, da über schwere Krankheit und Tod nie gesprochen wurde.[1]

Advance Care Planning – mehr als eine Patientenverfügung

Diesen Missstand soll nun das Advance Care Planning (ACP) – Behandlung im Voraus planen (BVP) –, ein Konzept zur Realisierung wirksamer Patientenverfügungen, beheben.[1] ACP/BVP wird auf zwei Ebenen, der persönlichen und der systemischen, umgesetzt. Die persönliche, individuelle Ebene wird durch einen professionell begleiteten Gesprächsprozess getragen, in dem die Wünsche des vorausplanenden Menschen verständlich und sicher dokumentiert werden. Auf der systemischen Ebene bedarf es der institutionellen und regionalen Implementierung des Konzepts, um die zuverlässige Berücksichtigung der Vorausverfügungen zu gewährleisten. Im Vergleich zu einer herkömmlichen Patientenverfügung sind ACP/BVP-Verfügungen differenzierter und damit aussagekräftiger für Vertreter und Behandler, sie stützen sich auf definierte Dokumente und berücksichtigen ein breiteres Spektrum an Krankheitssituationen. Ziel von ACP/BVP ist es, die Wünsche eines Menschen zu pflegerischen, psychosozialen und spirituellen Aspekten schon vor dem Eintreten einer Behandlungssituation festzulegen, um damit eine verbesserte Versorgung in der letzten Lebensphase zu gewährleisten. Wesentliche Elemente des Plans sind eine Werteanamnese, die Legitimation eines Vertreters samt Erstellung einer Vertreterverfügung, eine ärztliche Anordnung für den Notfall bei akuter Einwilligungsunfähigkeit, Hinweise für die stationäre Behandlung bei Einwilligungsunfähigkeit unklarer Dauer sowie Wünsche und persönliche Hinweise in Bezug auf die palliative Pflege.

Gesprächsprozess mit Respekt und Akzeptanz begleiten

Von entscheidender Bedeutung bei der Umsetzung von ACP/BVP ist die Haltung des Gesprächsbegleiters, bei dem es sich um eine entsprechend geschulte Pflegefachkraft handelt. Als Grundannahme muss gelten, dass der Betroffene selbst am besten weiß, was zu seinem Wohle ist. Den Wünschen, persönlichen Erfahrungen, Emotionen und Ängsten des Vorausplaners und seines Vertreters sowie den getroffenen Entscheidungen ist mit Respekt und Akzeptanz zu begegnen. Der Gesprächsprozess wird durch die patientenzugewandte, sich selbst zurücknehmende Haltung des Gesprächsbegleiters einerseits und durch definierte Vorgaben für den Gesprächsverlauf andererseits getragen (Tab. 1). Um das Konzept der vorausgeplanten Behandlung in die klinische Routine zu implementieren, müssen alle relevanten Berufsgruppen und Einrichtungen auf institutioneller und regionaler Ebene eingebunden werden. Die dafür erforderlichen Maßnahmen – Netzwerkarbeit, Öffentlichkeitsarbeit, Fort- und Weiterbildungen und Qualitätssicherung – sind bereits angegangen worden und sollen in Zukunft weiter ausgebaut werden. Erfahrungen mit vergleichbaren Projekten im Ausland und einem frühen Pilotprojekt in Deutschland bestätigen den Nutzen des Verfahrens sowohl für Patienten als auch für deren Angehörige.[1] Für Pflegende erschließen sich mit diesem Konzept neue Aufgabenfelder – als Gesprächsbegleiter in Seniorenheimen, Arztpraxen oder Kliniken, als Netzwerkkoordinatoren oder Projektleiter, als Mitarbeiter im interprofessionellen Projektteam oder als Lehrende bei der Schulung und Ausbildung.

Spiritualität im Fokus

Immer mehr setzt sich die Erkenntnis durch, dass Patienten mit schweren, oft unheilbaren Erkrankungen spirituelle Bedürfnisse haben, die im Behandlungsalltag nicht ausreichend berücksichtigt werden.[3] Spiritualität ist ein vielschichtiges Grundbedürfnis des Menschen, das verschiedene Lebensaspekte betrifft. Sie umfasst Identitäts- und Sinnfragen, werteorientierte Haltungen sowie religiöse Überzeugungen und Fundamente. Viele onkologische Patienten haben im Angesicht von schwerer Krankheit und Tod tiefgehende spirituelle Bedürfnisse (Abb. 1), deren Nicht-Beachtung zu verstärkten depressiven Symptomen und einem verringerten Gefühl von Sinn und innerem Frieden führt.[4] Im Gegensatz dazu geht eine gute spirituelle Betreuung nachweislich mit einer höheren Zufriedenheit der Patienten mit der Gesamtversorgung und einer besseren Lebensqualität einher, bei einer zugleich stärkeren Wahrnehmung von palliativen Maßnahmen statt aggressiver Therapien und insgesamt niedrigeren Kosten.[5] Welche Bedeutung Spiritualität für Menschen mit Krebserkrankungen hat, zeigt eine aktuelle Studie mit 285 norddeutschen Patienten.[6] In deren Rahmen berichteten 94 % der Studienteilnehmer von mindestens einem spirituellen Bedürfnis, obwohl sich nur 47 % als „religiöse“ oder „spirituelle“ Menschen einschätzten. Am häufigsten wurden „die Schönheit der Natur genießen“ und „sich jemandem in Liebe zuwenden, sich als wertgeschätzte Person erleben“ angegeben. Spirituelle Bedürfnisse zeigten sich unabhängig vom Krankheitsstadium, waren also nicht erst in der Palliativbetreuung wichtig. Dass sie im Versorgungsalltag dennoch oft unbeachtet bleiben, hat vielfältige Gründe – von Zeitmangel über Hemmungen des Betreuungspersonals, das Thema anzusprechen, bis hin zu mangelndem Wissen über spirituelle Bedürfnisse und einem falschen Verständnis des Begriffes „Spiritualität“. Dabei ist eine Krebserkrankung ein kritisches Lebensereignis, das durch den Verlust bisheriger Selbstverständlichkeiten eine Neu­anpassung der Denkweise und des Verhaltens in vielen Lebensbereichen notwendig macht und damit die Spiritualität des Menschen erheblich herausfordert. Zu den zentralen Aspekten zählen dabei starke Verlustgefühle, zum Beispiel in Bezug auf die Kon­trolle des eigenen Lebens, auf Geborgenheit, die schützende Anonymität oder die Verlässlichkeit der Zukunft.

Seelsorge als würdezentrierte Therapie

Eine ganzheitlich ausgerichtete Seelsorge kann für onkologische Patienten eine wertvolle Lebenshilfe sein. Sie gibt Hilfestellung beim Deuten und Verstehen der Erkrankung im Lebenskontext und schafft damit einen zweckfreien Raum, in dem sich der Patient wahrgenommen, akzeptiert und vertrauensvoll aufgehoben fühlen kann. Dieses erweiterte Konzept der Seelsorge findet sich in der „Dignity Therapy“ (Würdezentrierte Therapie) wieder, die von einer Forschergruppe um den kanadischen Psychiater und Palliativmediziner Prof. Harvey Max Cochinov im Jahr 2005 entwickelt wurde.[7] „Dignity Therapy“ ist eine psychosoziale Kurzzeitintervention für Patienten mit lebensbedrohlichen oder -verkürzenden Erkrankungen, die das Ziel hat, bei den Betroffenen das Gefühl für die eigene unverlierbare Würde zu stärken. Grundlage ist ein Interview, das eine entsprechend geschulte Fachkraft anhand eines vorgefertigten Fragenkatalogs mit dem Patienten führt. Die Fragen beziehen sich auf die Lebensgeschichte des Patienten und sollen ihm die Ausarbeitung eines geistigen Vermächtnisses ermöglichen (Tab. 2). Das Interview wird transkribiert, editiert und dem Patienten vorgelesen, der nun die Möglichkeit hat, es noch einmal zu über­arbeiten. Anschließend erhält er sein Lebensvermächtnis in gebundener Form. „Dignity Therapy“ wird in Kanada, USA und einigen nordeuropäischen Ländern bereits seit Längerem angewandt, nun soll das Konzept auch in Deutschland in die Patientenversorgung eingehen.

Onkologische Rehabilitation – Pflegepersonal in der Schlüsselrolle

Neue Pflegekonzepte gibt es nicht nur für Patienten in der letzten Lebensphase, sondern auch für solche, die ihre Krebserkrankung überwunden haben und sich in der onkologischen Rehabilitation befinden. Viele Patienten mit einer Tumorerkrankung haben heute aufgrund der verbesserten Therapien gute Heilungschancen und damit auch gute Aussichten, wieder in den Beruf zurückzukehren. Dennoch führt die bösartige Erkrankung zu mannigfachen Lebensveränderungen, die auf der körperlichen und seelischen Ebene bewältigt werden müssen. An dieser Stelle setzt die onkologische Rehabilitation an. Ihr Ziel ist es, mit einem ganzheitlichen, interdisziplinären Ansatz die physischen und psychischen Folgen der Tumorerkrankung zu lindern oder gar zu beseitigen. Das Aufgabenspektrum des Pflegepersonals in onkologischen Rehabilitationseinrichtungen ist breit gefächert. Das Pflegeteam arbeitet täglich mit dem Patienten im Rahmen der Behandlungspflege zusammen und fungiert darüber hinaus als eine wichtige Schnittstelle im Patientenmanagement, denn viele Informationen durch Therapeuten, Ärzte, Hauswirtschaft und Patienten laufen bei der Pflege zusammen und werden durch die Pflegefachkräfte entsprechend weitergegeben. Die Anforderungen an die Arbeit sind hoch: Zu den Grundvoraussetzungen gehören neben der allgemeinen Qualifikation auch eine ausgezeichnete Krankenbeobachtung und ein empathisches Wesen.

Den Weg zurück ins Berufsleben ebnen

Das Pflegepersonal ist auch an der gemeinsamen Erstellung spezieller Konzepte im Team beteiligt – so etwa eines Schmerzkonzeptes, das Schmerzpatienten besser identifiziert und direkt umgesetzt vielen Patienten hilft. Ein weiteres Konzept ist die medizinische, beruflich orientierte Rehabilitation (MBOR), die onkologischen Patienten durch spezielle Therapien den Weg zurück ins Berufsleben ebnen soll.[8] Hintergrund für das MBOR-Konzept ist die Feststellung, dass fast die Hälfte aller Krebspatienten in Deutschland im erwerbsfähigen Alter ist und die Tumorerkrankung oder die Therapie für viele der Grund ist, dem Beruf nicht mehr nachzukommen – mit der häufigen Folge des sozialen Abstiegs bis hin zur Verarmungsspirale. Die Klinik Nordfriesland hat nun dieses Problem aufgegriffen und spezifische Programme entworfen, um den Betroffenen die Rückkehr in ihren Beruf zu ermöglichen. Zu den Aufgabenfeldern im Rahmen des MBOR-Konzepts gehören:

• Identifikation der besonderen beruflichen Pro­blem­lagen auf ganzheitlicher Basis

• Gezielte psychotherapeutische Interventionen – Gruppen- und Einzelgespräche – in Bezug auf berufliche Fragestellungen, insbesondere Erhebung von Ängsten und Stress

• Spezifische physiotherapeutische Diagnostik und entsprechende Interventionen, z. B. bei Gelenk- und Rückenschmerzen

• Ergotherapeutische Behandlung

• Arbeitsplatztraining (bei Schreibtisch- und Gesund­heitsberufen)

• EDV-gestütztes Konzentrationstraining

• Multidisziplinäre Besprechungen bei komplexen sozialmedizinischen Situationen

Ein entscheidender Vorteil der onkologischen Rehabilitation ist es, den Patienten in kurzer Zeit ein intensives Betreuungsangebot zur Verfügung stellen zu können. Zudem bietet die Rehabilitation einen geeigneten Rahmen, um die veränderte Lebenssituation zu überdenken und gegebenenfalls neue Weichen zu stellen. Im geschützten Rahmen, angeleitet durch ein multiprofessionelles Team, werden die Patienten körperlich und seelisch für die Anforderungen des Alltags gestärkt und – wenn möglich – auf die berufliche Wiedereingliederung vorbereitet.

Isolation in der Hämato-Onkologie

Neue Pflegekonzepte gewinnen auch in der Versorgung von Patienten mit hämato-onkologischen Erkrankungen an Bedeutung. Patienten mit Leukämie und Lymphomen sind während der Tumortherapie besonderen Gefahren und Belastungen ausgesetzt (Abb. 2). Insbesondere Patienten, die in der aplastischen Phase nach Stammzelltransplantation in Isolationseinheiten untergebracht werden müssen, um das Infektionsrisiko zu mindern, benötigen verbesserte Versorgungskonzepte, denn Isolation wirkt sich nachweislich negativ auf die Psyche der Betroffenen aus, verschlechtert die Lebensqualität und induziert vermehrt Angst und Depressionen.[11]

In der Betreuung solcher Patienten kann das Konzept der Transition bzw. des Übergangs wertvolle Hilfe leisten. Es basiert auf der Annahme, dass adäquate Begleitung in der Übergangsphase eines einschneidenden Ereignisses den Umgang und die Wahrnehmung des Ereignisses positiv beeinflussen können. In diesem Kontext kommt der Pflege eine zentrale Bedeutung zu, denn Pflegepersonen können durch die Gestaltung der Umgebung und der Beziehung zum Patienten wesentlich dazu beitragen, dass die Akzeptanz der Maßnahme verbessert wird und die Isolation erfolgreich durchbrochen werden kann. Wichtig dabei ist, dass das Betreuungspersonal durch entsprechendes Training die Kompetenz zur Wahrnehmung echter psychologischer Bedürfnisse der Patienten entwickelt – im Gegensatz zu angenommenen, vermeintlichen Bedürfnissen.[9] Dieses Beispiel zeigt einmal mehr, dass die Berücksichtigung der psychosozialen Domäne in der onkologischen Routineversorgung mittlerweile unerlässlich ist, denn sie wird – zu Recht – als Kennzeichen einer hochwertigen Krebsbehandlung wahrgenommen.

Die Autorin

Andrea Schäffer
Medizinjournalistin
83607 Holzkirchen

andrea.schaeffer@consultens.com

[1] Krull E, www.professionalabstracts.com/dgho2017/pdf/open.php?id=429&system=list, letzter Zugriff am 14.02.2019
[2] Marckmann G, Von der traditionellen Patientenverfügung zum Advance Care Planning: Ethische Grundlagen und Einführung in das Konzept. Unveröffentlichte Unterrichtsunterlagen, Pilotprojekt Ausbildung zum Gesprächsbegleiter. München Christophorus Akademie, Feb./März 2017
[3] Flad B, www.professionalabstracts.com/dgho2018/pdf/open.php?id=385&system=list, letzter Zugriff am 18.02.2019
[4] Taylor EJ, Cancer Nursing 2203; 26: 260–266
[5] Balboni TA et al., J Clin ONcol 2007; 25: 555–560
[6] Hoecker A et al., Eur J Cancer Care 2014; 23(6): 786–794
[7] Chochinov HM et al., Journal of clinical oncology 2005; 23(24): 5520–5525
[8] Ellinghaus M, www.professionalabstracts.com/dgho2017/pdf/open.php?id=447&system=list., letzter Zugriff am 18.02.2019
[9] Spalt M, www.professionalabstracts.com/dgho2018/pdf/open.php?id=439&system=list, letzter Zugriff am 18.02.2019
[10] Arizy-Heredia E, Chemaly FR, Clin Lymphoma, Myeloma & Leukemia 2014; 3(S3): 104–110
[11] El Jawahari AR et al., Cancer 2015; doi:10.1002/cncr.29149

Bildnachweis: FatCamera (iStockphoto)

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