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Onkologie

Tumornekrosefaktor-Rezeptoren

Neue Zielstruktur beim Multiplen Myelom

Dr. med. Maximilian J. Steinhardt, Dr. med. Leo Rasche

30.10.2020

Das Multiple Myelom gehört auch heute noch zu den Erkrankungen, bei denen sich nur ein sehr kleiner Teil der Patienten in dauerhafte Remission bringen lässt. Der Rezeptor BCMA ist eine neue, vielversprechende Zielstruktur für immuntherapeutische Therapieansätze und eröffnet weitere Behandlungsmöglichkeiten.

Das Multiple Myelom (MM) stellt mit ca. 1,8 % aller Tumorerkrankungen die zweithäufigste hämatologische Erkrankung nach den Non-Hodgkin-Lymphomen dar. Die Lebenserwartung von Patienten mit MM ist durch die Entwicklung neuer Substanzen in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Bei transplantationsfähigen Patienten liegt das mediane Überleben bei etwa acht Jahren. Therapiestandard ist für fitte Patienten bis zum 70. Lebensjahr eine Induktionschemotherapie gefolgt von einer Hochdosistherapie mit Melphalan und autologer Stammzelltransplantation. Eine Erhaltungstherapie mit Lenalidomid verlängert das mediane progressionsfreie Überleben (progression free survival, PFS) und ist grundsätzlich empfohlen. Eine aktuelle Therapieoptimierungsstudie, die den CD38-Antikörper Daratumumab in der Kombination mit Thalidomid, Bortezomib und Dexamethason evaluiert, zeigt eine weitere Verbesserung des PFS nach 1,5 Jahren von 93 % vs. 85 % im Kontrollarm. Dennoch lässt sich die Erkrankung nur bei einem sehr kleinen Teil der Patienten in eine dauerhafte Remission bringen und die Mehrheit zeigt im Verlauf eine Krankheitsprogression. Für Patienten, die alle zur Verfügung stehenden Therapien durchlaufen haben und resistent auf Proteasom-Inhibitoren, immunmodulatorische Substanzen und CD38-Antikörper sind, ist die Prognose ungünstig. Das B cell maturation antigen (BCMA) gehört zur Familie der Tumornekrosefaktor-Rezeptoren und wird physiologisch auf der Oberfläche reifer B-Lymphozyten und Plasmazellen exprimiert. BCMA bindet den B-Zell-aktivierenden Faktor BAF und andere Wachstumsfaktoren und ist wichtig für Funktion und Entwicklung von B-Zellen. Auf Zellen des MM wird BCMA regelhaft überexprimiert und wurde daher als neue Zielstruktur für immuntherapeutische Ansätze identifiziert. Darüber hinaus wird BCMA von der Zellmembran enzymatisch durch γ-Secretasen ins Serum abgespalten. Ein erhöhtes Vorkommen von löslichem BCMA (sBCMA) ist spezifisch für eine Progression, und BCMA wird als Biomarker für Krankheitskontrolle und Prognose diskutiert. Die Spezifität von BCMA wurde zum Anlass genommen, hochaktive Immuntherapien gegen dieses Antigen zu entwickeln. Bislang werden drei Ansätze in klinischen Studien geprüft: Immunotoxine (antibody-drug conjugates, ADC), bispezifische Antikörper und chimäre Antigenrezeptor-T-Zell-Therapien (chimeric antigen receptor modified T-cell therapies, CAR-T).

Immuntoxine

Grundsätzlich handelt es sich bei ADC um monoklonale Antikörper, die mithilfe eines molekularen Verbindungsstücks (Linker) an zytotoxische Substanzen gekoppelt sind. Nach Bindung an das Oberflächenprotein wird das Immunkonjugat internalisiert und die wirksame Substanz freigesetzt, welche zum Zelltod führt. Der Fc-Antikörperteil selbst fungiert zudem als Erkennungsstruktur für Effektorzellen des Immunsystems und vermittelt Antikörper-abhängige Zytotoxizität (antibody-dependent cellular cytotoxicity, ADCC). Das klinisch am weitesten entwickelte BCMA-­Immunotoxin ist Belantamab mafodotin, welches in einer Phase-I-Studie mit Dosiseskalation als Monotherapie ein Ansprechen von 60 % bei intensiv vortherapierten MM-Patienten zeigte. Das PFS lag in dieser Studie bei zwölf Monaten. Die Therapie wird als Kurzinfusion alle drei Wochen appliziert und die häufigsten Grad-3/4-Nebenwirkungen ­waren Anämie (17 %), Thrombopenie (35 %) und reversible Keratopathien (51 %), welche im Schnitt 35 Tage andauerten. Die Phase-II-Studie zu Belantamab mafodotin zeigte eine Ansprechrate von 31 und 35 % in den zwei ­getesteten Dosiskohorten (2,5 mg/kg und 3,4 mg/kg Dosis) und die Patientencharakteristika unterschieden sich von der zuvor genannten ­Phase-I-Studie. Die eingeschlossenen Patienten hatten im Mittel bereits sieben Therapielinien hinter sich. Das PFS lag bei 2,8 bzw 3,9 Monaten, das Gesamtüberleben (overall survival, OS) lag bei 53 % nach zwölf ­Monaten. Patienten, die ein ­objektives Ansprechen zeigten, profitierten aber deutlich länger, wobei das mittlere PFS und OS noch nicht erreicht sind. Der Unterschied in den beiden Studien könnte sich durch den signifikant höheren Anteil an Daratumumab vorbehandelten Patienten in der Phase-II-Studie ergeben. Bereits in der Phase-I-Studie hatte sich ein Unterschied im Ansprechen bei Patienten vor und nach Daratumumab (71 gegen 43 %) gezeigt. Ein refraktärer Verlauf unter Daratumumab ist ein negativ prädiktiver Marker bezüglich des Gesamtüberlebens, welcher sich in diesen Studien abbilden könnte. Grad-3/4-Keratopathien traten bei 29 % und 24 % auf. Dosisreduktionen wurden häufig durchgeführt, sodass die Dosis für die 3,4-mg/kg-Gruppe kumulativ meist nicht erreicht wurde. Die Keratopathien stellen in der Onkologie ein neues Nebenwirkungsspektrum dar und erfordern die Zusammenarbeit mit einem Ophthalmologen. Hier beklagten die Patienten Verschwommensehen und Trockenheit der Augen. Unter der in bis zu 30 % der Fälle nötigen Therapiepause und nachfolgender Dosisreduktion besserte sich die Symptomatik meist. In 85 % aller Fälle normalisierte sich die Sehleistung nach einem Median von 96 Tagen bei limitierter Nachbeobachtungszeit. Ein permanenter Sehverlust trat nicht auf. In einer Subgruppe zeigte sich lediglich eine Dosisreduktion/-verzögerung und die Applikation künstlicher Tränenflüssigkeit effektiv in der Linderung der Symptome. Mit der Zulassung von Belantamab mafodotin wird im kommenden Jahr gerechnet. Zahlreiche Studien evaluieren zudem Belantamab mafodotin ­sowohl in Kombination mit anderen myelomaktiven ­Substanzen als auch einen Einsatz in früheren ­Therapielinien (Abb. 1).

Bispezifische Antikörper

Bispezifische Antikörper sind künstliche Antikörperkonstrukte, die räumliche Nähe und damit Interaktionen zwischen einer Effektorzelle des Patienten und einer Tumorzelle herstellen können. Diese führen zur Induktion von Apoptose sowie zur konse­kutiven ­T-Zell-Aktivierung und -proliferation. Die bispezifische T-Zell-Engager(BiTE)-Technologie benutzt hierfür singlechain Antikörperfragmente für CD3 und dem Zielantigen. In einer Phase-I-Studie wurde der BCMA-gerichtete BiTE AMG420 bei MM-Patienten nach ­mindestens zwei Therapielinien angewendet. In der höchsten Dosis wurde bei 7 von 10 Patienten ein ­signifikantes Ansprechen beobachtet. Über alle wirksamen Dosisstufen mit insgesamt 42 Patienten zeigte sich ein Ansprechen von 31 %. Die Hälfte dieser Patienten erreichte eine Komplettremission mit tiefem Ansprechen (minimal residual disease (MRD)-negative) mit einem medianen PFS von 9,6 Monaten. Hierbei wurde in drei Fällen ein Zytokinsturm (cytokine release syndrome, CRS), in einem Fall ein therapielimitierendes Ödem sowie bei zwei Patienten eine höhergradige Polyneuropathie, welche zur Einstellung der Therapie führte, beobachtet. Aufgrund der sehr kurzen Halbwertszeit des Konstrukts ist eine Dauerinfusion über 24 Stunden notwendig, welches eine komplexe Logistik erfordert. Ein Nachfolger mit verlängerter Halbwertszeit ist in der Entwicklung und wird in klinischen Studien getestet (AMG701). Weitere Therapieansätze befinden sich in Phase I mit Ansprechraten von 83 %, 78 %, 57 % und 41 %, bei akzeptablem Nebenwirkungsprofil. Noch sind die Patientenzahlen gering und viele der genannten Studien befinden sich noch in der Dosiseskalation. Für einige Konstrukte ist eine subkutane Applikation möglich (Abb. 2).

CAR-T-Zellen

CAR-T-Zellen stellen ein weiteres hochaktives Immuntherapeutikum dar. Mittels Leukapherese werden patienteneigene T-Zellen gewonnen, welche in vitro vermehrt und mit künstlichen T-Zell-Rezeptoren ausgestattet werden, die das gewünschte Antigen binden. Die T-Zell-Antwort führt zur Apoptose der Zielzelle sowie zur Expansion der CAR-T-Zellen. Die Aktivität von CAR-T-Zellen ist MHC- unabhängig. Die Anzahl der in klinischen Studien getesteten Produkte ist inzwischen erheblich und sie unterscheiden sich in Aufbau und Herstellung. Aufgrund des intensiv vorbehandelten Patienten­kollektivs in CAR-T-Zell-Studien, ist eine ungenügende T-Zell-Expansion in vitro und in vivo ein häufiges ­Problem. Die Hinzugabe von Phosphoinositid-3-­Kinase(PI3K)-Inhibitoren in das Kulturmedium während der Produktion der CAR-T-Zellen könnte eine Option sein, die Persistenz zu erhöhen. Ein zentrales Problem der CAR-T-Zell-Therapie ist die auftretende Erschöpfung der Immunantwort nach initial gutem Ansprechen. Daher gibt es verschiedene Ansätze, welche der Verstärkung und Erhaltung der Antwort dienen. So sind die meisten Produkte mit CD28- oder CD137-basierten Kostimulatoren ausgestattet. Diese verbessern die Reaktion und Proliferation der CAR-T-Zelle nach Antigenexposition und führen zur Ausprägung verschiedener Immunantworten. Ein CAR mit CD28-Stimulation leitet überwiegend ­effector memory T-Zell-Antworten ein, eine CD137-Stimulation eher eine central memory ­T-Zell-Reaktion. Letztere persistieren in vivo länger und zeigen eine effektivere Immunantwort als ­reife T-Zellen. Eine spezifische Nebenwirkung der Therapie ist die überschießende Immunreaktion mit deutlicher ­Erhöhung proinflammatorischer Zytokine. Diese ­können über ­fieberhafte Symptome bis zum vasogenen Schock, akutem Lungenversagen und Gerinnungsstörungen führen. Einige Produkte enthalten daher eine Abschaltfunktion für den Fall einer über­schießenden Reaktion, welche beispielsweise die ­Apoptose der CAR-T-Zellen einleitet. Ein Resistenzmechanismus der Therapie ist ein möglicher Antigenverlust der Tumorzellen: Das Multiple Myelom ist eine subklonaldiverse Erkrankung und antigen-loss-Varianten können durch Immuntherapien selektioniert werden. Daher gibt es bereits ­Studien zur Simultantherapie mit zwei verschiedenen CAR-T-Zell-Produkten und auch CAR- T-Zell-Designs, die zwei verschiedene Antigene erkennen. Über alle Studien hinweg ist die Gesamtansprechrate (overall response rate, ORR) beeindruckend und liegt zwischen 64 und 100 % in einem sehr schwer vortherapierten Patientenkollektiv. Der MRD-negative Komplett­remissions (complete remission, CR)-Anteil liegt hier wiederum zwischen 66 und 100 %. Das am weitesten entwickelte CAR-T-Zell-Produkt ist ­Idecabtagenevicleucel (ide-cel, bb2121), welches ­aktuell in einer randomisierten Phase-III-Studie gegen Da­ratumumab- oder Carfilzomib-haltige ­Therapien getestet wird (KarMMa-3). Ide-cel zeigte eine ORR von 85 % in der Phase-I-­Studie und die Dauer des Ansprechens betrug 11,8 Monate im Mittel, das längste Ansprechen lag bei 22,8 Monaten bei einem noch kurzen medianen Follow-up von 11,3 Monaten. 85 % aller behandelten Patienten zeigten eine Neutropenie und 45 % eine Änämie oder Thrombopenie Grad 3 oder höher. Ein CRS trat in 76 % aller Fälle auf, 6 % aller Patienten zeigten einen schweren Verlauf des CRS. Ein weiteres CAR-T-Zell-Produkt ist JNJ-4528. In einer Phase-II-Studie zeigten alle 29 eingeschlossenen Patienten ein Ansprechen; 90 % zeigten ein progressionsfreies Überleben von bislang neun Monaten bei ebenso langem Follow-up. Alle Patienten zeigten Grad 3 Anämie, Neutropenie und Thrombopenie. 27 Patienten (93 %) entwickelten ein CRS; zwei zeigten einen schweren Verlauf. Das Produkt wird aktuell in der CARTITUDE-Studienreihe weiterentwickelt (Abb. 3).

Ausblick

Die Zahl der MM-Patienten, die bereits alle zur Verfügung stehenden Medikamente erhalten hat, nimmt stetig zu und es besteht ein Bedarf an neuen Therapieoptionen. BCMA hat sich als effektives und sehr selektives Ziel in der Myelomtherapie etabliert und mehrere Ansätze haben in fortgeschrittenen Stadien zu hohen Ansprechraten geführt. Zusammen mit dem hohen Anteil tiefer Komplettremissionen stimmen die vorliegenden Daten auch hoffnungsvoll für eine Translation in frühe Stadien der Erkrankung, in denen BCMA-adressierende Therapien sich jedoch erst noch beweisen müssen. Aktuell sind BCMA-­basierte Therapien noch auf Studien begrenzt. Ein großer Vorteil von Immunotoxinen ist die leichte Verfügbarkeit. Belantamab mafodotin zeigt unter den BCMA-gerichteten Therapien die geringste ­Ansprechrate. Patienten, die ansprechen, zeigen aber ein deutlich längeres PFS, dessen Median in der Nachbeobachtung bislang noch nicht erreicht ist. Die Applikation ist im Vergleich zu den anderen BCMA-adressierenden Therapien praktisch und ­lebensbedrohliche Nebenwirkungen selten; für die Patienten kann jedoch die (reversible) Keratopathie sehr belastend sein. Das Therapieprinzip ist T-Zell-unabhängig, weshalb Belantamab mafodotin in ­Zukunft höchstwahrscheinlich auch als Kombinationspartner für andere Myelomtherapien zur Verfügung stehen wird. Auch bispezifische Antikörpertherapien sind ohne langen Vorlauf verfügbar. Zytokin­sturm und Polyneuropathie werden unter BCMA-BiTE ebenso wie unter CAR-T-Zell-Therapie beobachtet. Jedoch können bei bispezifischen Antikörpern im Verlauf ­Dosisreduktionen oder -modifikationen (z. B. Aufteilung der Dosis auf zwei Gaben) durchgeführt werden. BCMA-spezifische CAR-T-Zellen haben ihre Wirksamkeit in Studien bewiesen. Sie weisen beeindruckende Ansprechraten von > 80 % auf. Vorteil ist die einmalige Infusion mit anschließender CAR-T-Zell-Expansion im Patienten. Nachteile dieser Therapie sind die langen Zeiten zwischen Apherese und Applikation der modifizierten Zellen, welche oft eine zusätzliche überbrückende Therapie bedingt, sowie die Notwendigkeit einer lymphozytendepletierenden Chemotherapie vor Rückgabe der modifizierten Zellen. Noch sind BCMA-Therapien nicht kurativ, und es zeigt sich kein Überlebensplateau. Ergebnisse aus der Anwendung in ­früheren Krankheitsstadien stehen noch aus, und es ist zu hoffen, dass ein weniger vortherapiertes MM besser zu therapieren und ein weniger vorbelastetes Immunsystem besser zu instrumentalisieren ist. Hiermit könnten sich dann auch längerere therapiefreie Intervalle nach den vorgestellten BCMA-gerichteten ­Therapien zeigen.

Der Autor

Dr. med. Maximilian J. Steinhardt
Assistenzarzt für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie
Universitätsklinikum Würzburg
Medizinische Klinik und Poliklinik II
97080 Würzburg

steinhardt_m@ukw.de

Der Autor

Dr. med. Leo Rasche
Oberarzt, Facharzt für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie
Universitätsklinikum Würzburg
Medizinische Klinik und Poliklinik II
97080 Würzburg

rasche_l@ukw.de

Literatur bei den Autoren

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