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Onkologie

Update

Lungenkarzinom

PROF. Dr. med. Frank Griesinger

Maligne Erkrankungen der Lunge sind schwierig zu behandeln. Mit der Erweiterung der molekularen Testung und dem Fortschritt der zielgerichteten Therapien wird die Prognose der Patienten zunehmend besser. Auch die Lebensqualität hat sich stark verbessert.

Das Lungenkarzinom ist die häufigste maligne Erkrankung mit der höchsten Mortalitätsrate beim Mann und die zweithäufigste bei der Frau.[1] Durch zwei Sprung­innovationen, den Nachweis von Treibermutationen bei etwa 25 % der Patienten und den Nachweis des Ansprechens auf Immuncheckpoint-Inhibitoren (ICI), haben sich die Therapiestandards und die Aussichten der Patienten bzgl. Ansprechen, Überleben und Heilung dramatisch verbessert.[2] Diese Verbesserung lässt sich aber nur erzielen, wenn die Patienten vor Beginn der Therapie auf die notwendigen molekularen und immun­histochemischen Marker getestet werden, damit eine optimale Therapiestratifizierung und damit Behandlung erfolgen können.[3] Der Artikel beschreibt die in 2020 relevanten Therapie­­algorithmen in der metastasierten Situation sowie aus­gewählte Themen in der nicht metastasierten Situation[4] (Abb. 1 und 2) und die notwendigen diagnostischen Verfahren, die bei Patienten mit Lungenkrebs obligat durchgeführt werden sollten. Optimale Testung und Umsetzung der Testergebnisse kann nur in Netzwerkstrukturen gelingen, die eine schnelle (10 Arbeitstage), umfassende und gewebeschonende (next generation sequencing), extern qualitätsgesicherte (Ringversuche) Diagnostik, interdisziplinäre Diskussion der Ergebnisse (molekulares Tumorboard) und Akzessibilität von indizierten Medikamenten – inklusive Off-Label-Use, Einschluss in Studien und Zweitmeinungsambulanzen – gewährleisten, z. B. im NOWEL-Netzwerk.

Diagnostik

Bei Nachweis eines nicht kleinzelligen Lungenkarzinoms sollten unabhängig vom Raucherstatus und der Histologie bei allen Patienten eine umfassende Diagnostik bzgl. Alterationen in den Genen für EGFR, BRAF, ALK, ROS und NTRK (zugelassene Medikamente) sowie MET Exon 14 skipping, RET, HER2 und KRAS (keine zugelassenen Medikamente, aber Studienmöglichkeiten in Deutschland) sowie eine Testung auf PD-L1-Expression durchgeführt werden.

NSCLC ohne Treibermutationen

Patienten ohne Treibermutationen erhalten eine Therapie mit einem Immuncheckpoint-Inhibitor alleine bei einer PD-L1-Expression von > 50 % auf Basis der KEYNOTE(KN)-024-Studie (Pembrolizumab-Monotherapie) sowie ggf. zukünftig der IMpower110-Studie (Atezolizumab-Monotherapie, derzeit nicht zugelassen). Beim ESMO wurden Daten eines dritten ICI, Cemiplimab, mit statistisch signifikantem Überlebensvorteil gezeigt (noch nicht zugelassen). Interessant an dem Konzept war, dass Patienten, die unter der Cemi­plimab-Erhaltungs­therapie progredient waren, den PD-1-Antikörper unter Hinzunahme einer Chemo­therapie fortsetzen konnten. Patienten mit einer Wildtyp(WT)-Konstellation können unabhängig von der PD-L1-Expression mit einer Chemotherapie plus ICI behandelt werden: Daten liegen für Pembrolizumab, Atezolizumab und Nivolumab/Ipilimumab vor. Der Einsatz dieser Kombinationen ist PD-L1-Expressions-unabhängig zugelassen. Das am häufigsten eingesetzte Regime ist das KN-189-Konzept mit Pemetrexed, Cis- oder Carboplatin und Pembrolizumab. Bei Patienten mit Lebermetastasen oder EGFR-Resistenzmutationen (nach Ausschöpfen aller EGFR-TKI) können seit März 2019 auf Grundlage der IMpower150-Studie Paclitaxel, Carboplatin, Bevacizumab und Atezolizumab für Patienten mit Nicht-Plattenepithelkarzinomen eingesetzt werden. Perspektivisch wird demnächst die Kombination von Ipilimumab/Nivolumab mit einer verkürzten Chemotherapie zugelassen werden, die bei einer kurzen Nachbeobachtung für alle PD-L1-Expressionsgruppen einen statistisch hoch signifikanten Überlebensvorteil gegenüber der Chemotherapie (4 Zyklen) zeigen konnte. Beim Plattenepithelkarzinom ist das Therapieregime der KN-407-Studie Standard, die Paclitaxel oder nab-Paclitaxel und Carboplatin +/- Pembrolizumab testete. Inbesondere sollten Patienten mit einer PD-L1-Expression von 0–50 % mit diesem Schema behandelt werden.

NSCLC mit Treibermutationen

Der Trend bei den Patienten mit Treibermutationen geht weg von der Sequenztherapie hin zur Behandlung mit Zweit- oder Dritt-Generations-TKI, die eine hohe Wirksamkeit aufweisen und insbesondere viele Resistenzmutationen abdecken. Bei EGFR(Epidermal Growth Factor Receptor)-­mutierten NSCLC hat sich die Therapie mit dem Dritt-Generations-TKI Osimertinib gegenüber einer Sequenztherapie auf dem Boden der FLAURA-Studie durchgesetzt. Neue Trends in der Therapie von EGFR-mutierten NSCLC können ggf. die Kombination von EGFR-TKI (Tyrosinkinaseinhibitor) und Angiogenese-Hemmer (Bevacizumab, Ramucirumab) (allerdings bisher kein Nachweis eines Überlebensvorteils) oder EGFRT-TKI in Kombination mit Chemotherapie (bisher keine Zulassung) bringen. Relevant für die Führung von Patienten mit EGFR-mt+ NSCLC ist die regelmäßige Bildgebung des ZNS (mittels MRT). Des Weiteren sollte eine molekulare Testung auf Resistenzmutationen, ggf. auch mit einer Liquid Biopsy bei Osimertinib-Versagen, durchgeführt werden, da z. B. der Nachweis einer C797S-Resistenzmutation therapierelevant sein könnte. Bei fehlenden Resistenz­mutationen sollte das o. g. IMpower150-Regime eingesetzt werden. Bei ALK+ NSCLC, das bei etwa 3–4 % aller Patienten mit NSCLC vorliegt, sind aktuell vier Erst- (Crizotinib, Ceritinib) und Zweit-Generations-TKI (Alectinib und Brigatinib) für die Erstlinientherapie zugelassen. Wegen der hohen ZNS-Effektivität und des PFS(progression free survival)-Vorteils sowie eines sich andeutenden OS(Gesamtüber­lebens)-Vorteils (für Alectinib) bzw. eines statistisch signifikanten OS-Vorteils für Brigatinib (Subgruppe der ZNS-metastasierten Patienten) haben sich die Zweit-Generations-TKI zunehmend in der Erstlinientherapie durchgesetzt. Mit Lorlatinib, einem Dritt-Generations-TKI kommt demnächst die Zulassung für eine sehr effektive Substanz in der Erstlinientherapie des ALK+ NSCLC, allerdings verbunden mit z. T. ungewöhnlichen Nebenwirkungen wie Hypercholesterinämie, Hyper­triglycerid­ämie, Lipasämie sowie psychischen Alterationen. Generell gilt bei ALK+ NSCLC zu beachten, dass eine regelmäßige ZNS-Bildgebung alle drei bis maximal sechs Monate zur frühzeitigen Detektion von ZNS-Metastasen (mittels MRT) – auch bei asymptomatischen Patienten – erfolgen sollte, wie auch die Bestimmung von Resistenzmechanismen (ggf. mit Liquid Biopsy) und die nachfolgende Auswahl eines dem Resistenzmechanismus entsprechenden ALK-Inhibitors. Bei Aus­schöpfen ­aller ALK-TKI sollte die Pemetrexed-basierte Chemo­therapie nicht vergessen werden. Diese kann bei ALK+ NSCLC hoch effizient sein und in Kombination mit einem Platinderivat zur langfristigen Krankheitskontrolle führen. Bei ROS1-Translokationen ist Crizotinib nach wie vor Therapie der Wahl, kürzlich wurde Entrectinib als zweiter ROS-Inhibitor zugelassen. Die Daten­lage ist vergleichbar mit der von Crizotinib (kein direkter, nur indirekte Vergleiche), allerdings liegen für Entrectinib Daten zum ZNS-Ansprechen und zur ZNS-Kontrolle vor, die für Crizotinib fehlen. Für BRAF-V600-mutierte Tumoren ergaben sich keine neuen Daten, der Standard in der Erstlinientherapie ist nach wie vor eine Kombination aus Dabrafenib und Trametinib. Die besten Daten liegen für BRAF-V600E-mutierte Patienten vor.

NTRK-Fusionen treten bei 0,1–0,3 % aller Lungenkarzinome auf. Larotrectinib und Entrectinib sind für Patienten mit NTRK-Fusionen zugelassen – eine Histologie-agnostische Zulassung, bei der alle Patienten mit NTRK-Fusionen unabhängig von der Tumorerkrankung mit dem NTRK-Inhibitor behandelt werden können. Weitere Mutationen, die in aktiven Studien in Deutschland mit zielgerichteten Medikamenten behandelt werden können, sind cMET-Exon-14-skipping-Mutationen, für die Programme mit Tepotinib und Capmatinib bestehen, RET-Translokationen, für die Studien mit Pralsetinib und Selpercatinib laufen, sowie KRAS-Mutationen (KRAS G12C), für die Studien mit Sotorasib (AMG510) durchgeführt werden. Derzeit sind auch Studien für HER2-Mutationen in der Vorbereitung.

ICI in den nicht metastasierten Stadien

Basierend auf der PACIFIC-Studie sollten alle Patienten im Stadium III, für die eine Radio-Chemotherapie in kurativer Intention durchgeführt wurde, auf die Expression von PD-L1 getestet werden und bei Positivität eine Konsolidierungs-Therapie mit Durvalumab erhalten. Die 4-Jahres-Daten wurden gerade beim ESMO vorgestellt und zeigen eine Reduktion der Mortalität durch Durvalumab um 40 %. Die Durvalumab-Erhaltung sollte möglichst nicht später als zwei Wochen nach Abschluss der Strahlentherapie beginnen. In den frühen und lokal fortgeschrittenen Stadien des NSCLC werden derzeit neoadjuvante und ­adjuvante Konzepte mit ICI geprüft. Die erste Studie mit Nivolumab hat bereits in einer Pressemitteilung das Erreichen des primären Endpunkts „pathologische komplette Remission“ publiziert, weitere Konzepte, unter Einbeziehung aller PD-1- und PD-L1-Inhibitoren, werden umgesetzt. Für ­Patienten mit Treibermutationen liegen derzeit in der kurativen Situation keine Zulassungen vor. Die ADAURA-Studie könnte dies in Zukunft für EGFR-mutierte Patienten in den Stadien IB bis IIIA nach R0-Resektion ändern. Allerdings liegen derzeit nur unreife PFS- und keine OS-Daten vor, sodass abzuwarten bleibt, ob die Zulassung aufgrund der DFS (disease free survival)-Daten von der EMA erteilt wird. Voraussichtlich schneller zur Zulassung werden neoadjuvante Konzepte inklusive TKI führen, bei denen das pathologische Ansprechen und das DFS als koprimäre Endpunkte eine höhere Zuverlässigkeit als Surrogatparameter für das Über­leben haben könnten.

Fazit:

Das Lungenkarzinom ist die häufigste tödlich verlaufende maligne Erkrankung in Deutschland beim Mann und die zweithäufigste bei der Frau. Mit der immunhistochemischen (PD-L1) und der genetischen Charakterisierung (EGFR, ALK, ROS, BRAF, cMET, RET, NTRK) und der Verfügbarkeit zielgerichteter Medikamente hat sich die Aussicht von Patienten in der metastasierten Situation erheblich verbessert. Voraussetzung für die optimale Therapiestratifizierung ist eine extern qualitätskontrollierte, schnelle (10 Arbeitstage) Testung auf die o. g. Marker in einem Netzwerk unter Beteiligung von molekularpathologisch tätigen Pathologen. Leider wird in Deutschland aber immer noch zu wenig getestet, nur etwa 50–75 % der Patienten erhalten selbst in spezialisierten Einrichtungen eine molekulare Testung. Patienten mit onkogenen Treibermutationen sollen eine zielgerichtete Therapie in der Erstlinie erhalten, bei einer WT-Konstellation soll eine Chemo-Immuntherapie eingesetzt werden, bei Patienten mit einer hohen PD-L1-Expression ist alternativ eine Pembrolizumab-Monotherapie möglich. ICI und TKI-Therapien erhalten Einzug in die frühen Stadien und damit in kurative Konzepte.

Der Autor

Prof. Dr. med. Frank Griesinger
Klinik für Hämatologie und Onkologie, Pius-Hospital Oldenburg
Universitätsklinik
Innere Medizin – Onkologie,
Universitätsmedizin Oldenburg
Georgstraße 12
26121 Oldenburg

1 https://www.uicc.org/new-global-cancer-data-globocan-2018
2 https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/020-007OL_l_S3_Lungenkarzinom_2018-03.pdf
3 Junker K et al., Pathologe 2018; 39(6): 589–603, doi: 10.1007/s00292-018-0531-x
4 https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/lungenkarzinom-nicht-kleinzellig-nsclc/@@guideline/html/index.html

Bildnachweis: Naeblys, Benjamin Toth4 (iStockphoto)

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