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Allgemeinmedizin

Chronisches Koronarsyndrom

Update zu Diagnostik und Therapie

Dr. med. Sebastian Rogowski, Prof. Dr. med. Ellen Hoffmann

22.11.2024

Das Management des chronischen Koronarsyndroms (CCS) hat mit den ESC-Leitlinien 2024 ein Update erfahren. Worauf ist demzufolge zu achten, um eine Therapie individuell auszurichten sowie nachhaltig zu gestalten und Betroffenen so eine gute Lebensqualität zu ermöglichen?

Mit einer Prävalenzrate von etwa 5–7 % bei Frauen und 7–10 % bei Männern ist das CCS ein weitverbreitetes Gesundheitsproblem in Deutschland. Die Sterblichkeitsrate des CCS konnte jedoch dank verbesserter präklinischer Versorgung bei akutem ­Koronarsyndrom (ACS) und Herzinfarkt, innovativer Entwicklungen innerhalb der Koronarintervention, optimierter medikamentöser Therapieoptionen zur Behandlung der Risikofaktoren, moderner Thrombozytenaggregationshemmung und ­effektiver Präventionsstrategien ­signifikant ­reduziert werden.

Diagnostik und Risikostratifizierung

Das CCS beschreibt klinische Präsentationen, die durch chronische Veränderungen der ­Koronararterien und/oder Mikrozirkulation entstehen. Diese führen zu einer vorübergehenden Diskrepanz zwischen myokardialem Sauerstoffbedarf und -angebot, was zur Ischämie führt, die meist durch Belastung oder Stress ausgelöst wird. Symptome können Angina ­pectoris, Brustbeschwerden, Dyspnoe oder asymptomatische Verläufe sein. Die chronische Form ist häufig fortschreitend und kann in ein ACS übergehen [1].

Der beim ESC 2024 in London vorgestellte ­Algorithmus zum Management des CCS ­gliedert sich in 4 Stufen: 1. Erste Evaluation, 2. Erweiterte Evaluation, 3. Bestätigung der Diagnose und 4. Behandlung. In der ersten Evaluation steht die Einteilung in eine stabile oder instabile Situation im Vordergrund, mit der Entscheidung über eine Notfallbehandlung. Zentrale diagnostische Elemente sind Anamnese, körperliche Untersuchung, ­Thorax-Röntgen, Ruhe-EKG sowie Laboruntersuchungen mit Biomarkern wie Troponin und Brain-Natriuretischem-Peptid.

In der erweiterten Evaluation wird die gewichtete ­klinische Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer koronaren Herzerkrankung, ergänzt durch die Herzechokardiografie, ermittelt. Dieser Score berücksichtigt Symptome (0–3 Punkte), Anzahl der Risikofaktoren (0–5) und das Geschlecht, was eine klinische Wahrscheinlichkeit zwischen 0–45 % für eine obstruktive Koronarerkrankung ergibt. Die Wahrscheinlichkeit wird durch weitere kardiologische Befunde, wie ST-Veränderungen in der Ergometrie, Einschränkung der Ejektionsfraktion und dem Kalkscore aus dem Herz-CT, angepasst und neu eingestuft.

Bei einer klinischen Wahrscheinlichkeit von ≤ 5 % können weitere Tests zurückgestellt werden. Liegt das Risiko zwischen > 5 und 15 %, wird eine CT-Angiografie der Koronarien (CCTA) empfohlen (Abb. 1). Bei moderatem Risiko (> 15–50 %) ist entweder eine CCTA oder eine funktionelle Bildgebung (z. B. SPECT, Myokardszintigrafie, Echokardiografie, Stress-MRT, PET) indiziert. Bei hohem Risiko (> 50–85 %) sollte primär eine funktionelle Diagnostik durchgeführt werden. Bei einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit (> 85 %) ist direkt eine invasive Koronarangiografie indiziert, auch ohne vorherige erweiterte Testung (Abb. 2).

Die transthorakale Stress-Echokardiografie ist ein ­kostengünstiges und weitverbreitetes Verfahren zur Beurteilung von Herzkrank­heiten, bei der Belastung durch Ergometrie oder pharmakologisch (z. B. Dobutamin) erfolgt. Sie erfasst belastungsinduzierte Wandbewegungsstörungen mit hoher ­Sensitivität und Spezifität, ist jedoch untersucherabhängig. Neben der Detektion von ischämischen Veränderungen liefert sie ­zusätzliche Befunde, wie Mitral- und ­Trikuspidalinsuffizienzen. Während SPECT in Deutschland häufig genutzt wird, bieten PET-Myokard-Perfusionsbildgebung (PET-MPI) und Perfusionsstress-CT zwar exzellente diagnostische Optionen, haben aber aktuell eine geringere klinische Relevanz.

Symptome mit Therapeutika reduzieren

Die Auswahl antianginöser Medikamente sollte an die individuellen Merkmale der Betroffenen, also Komorbiditäten, Begleitmedikationen, Verträglichkeit der Behandlung und die zugrunde liegende Pathophysiologie der ­Angina pectoris angepasst werden. Kurz wirkende Nitrate werden zur sofortigen Linderung von Angina empfohlen. Für die meisten Menschen mit CCS wird eine initiale Therapie mit Betablockern und/oder Calciumkanalblockern zur Kontrolle von Herz­frequenz und Symptomen empfohlen. Langzeit­nitrate oder Ranolazin sollten als Zusatz­therapie in Erwägung gezogen werden, wenn die Symp­­tom­kontrolle unter Betablockern und/oder Calcium­kanalblockern unzureichend ist oder als Teil der Initialtherapie bei sorgfältig ausgewählten Erkrankten. Ivabradin kann als zusätzliche Therapie bei Erkrankten mit linksventrikulärer systolischer Dysfunktion (LVEF < 40 %) und unzureichender Symptomkon­trolle oder als Teil der Initialtherapie bei geeigneten Patienten und Patientinnen eingesetzt werden. ­Nitrate sind nicht empfohlen bei Personen mit hypertropher Kardiomyopathie oder in Kombination mit Phosphodiesterasehemmern.

Prognoseverbesserung durch Pharmaka

Zur Prävention koronarer ischämischer Ereignisse und ACS werden antithrombotische, lipidsenkende, anti-RAAS, antiinflammatorische und metabolisch wirkende Therapien eingesetzt.

ASS wird als Thrombozytenaggregationshemmer in der Sekundärprävention bei kardiovaskulären Hochrisikopatienten (100 mg täglich) empfohlen, da in der Primärprävention das Blutungsrisiko überwiegt. Nach perkutaner Koronarintervention (PCI) bei ­stabiler KHK und ACS ist die antithrombozytäre ­Therapie zentral. Für individuelle Therapieentscheidungen sollten Leitlinien und Scores wie PRECISE-DAPT und ARC zur Bewertung von Ischämie- und Blutungsrisiken genutzt werden, mit regelmäßigen Reevaluierungen nach 3 und 6 Monaten zur Anpassung der Therapie. Die Dauer der dualen Thrombozytenaggregationshemmung nach Koronarintervention ist abhängig vom Ischämie- und Blutungsrisiko und von der durchgeführten Intervention (z. B. ­akute Myokardischämie und geplante Koronarintervention) sowie nach der durchgeführten Stent-Strategie (1-Stent, 2-Stent, Bifurkationen, Hauptstammbeteili­gung) entsprechend der Leitlinien festzulegen. Bei CCS-Betroffenen ohne Indikation für eine orale ­Antikoagulation wird nach PCI-Stenting eine DAPT (duale antithrombozytäre Therapie) mit ASS (75–100 mg) und Clopidogrel (75 mg) täglich für bis zu 6 Monaten empfohlen. Bei hohem Blutungsrisiko, aber geringem ischämischen Risiko, sollte die DAPT nach 1–3 Monaten beendet und mit einer Monotherapie fortgesetzt werden. Bei Personen ohne hohes Blutungs- oder Ischämierisiko kann die DAPT ebenfalls nach 1–3 Monaten beendet werden. Für die Dauer der kombinierten antithrombotischen Therapie wird ein Protonenpumpenhemmer empfohlen.

Zur Lipidsenkung bei CCS-Erkrankten wird ein LDL-Ziel von < 1,4 mmol/l (55 mg/dl) und eine Reduktion um ≥ 50 % vom Ausgangswert empfohlen. Hochdosierte Statine bis zur maximal verträglichen Dosis sind der Standard. Wird das Ziel nicht erreicht, sollte Ezetimib hinzugefügt werden. Bei Statin-Intoleranz und unzureichender Wirkung von Ezetimib wird die Kombination mit Bempedoinsäure empfohlen. Ist auch diese unzureichend, ist die Kombination mit einem PCSK9-Inhibitor ratsam [2]. Bei wiederkehrenden atherothrombotischen Ereignissen unter maximaler Statintherapie kann ein LDL-C-Ziel von < 1,0 mmol/l (< 40 mg/dl) erwogen werden [1].

ACE-Hemmer werden bei an CCS Erkrankten ohne Herzinsuffizienz oder hohes kardiovaskuläres Risiko nur zur Blutdruckkontrolle empfohlen. Neue Studien zeigen jedoch, dass ACE-Hemmer/ARB nach PCI bei STEMI / NSTEMI die Langzeitüberlebensrate verbessern, unabhängig von der LV-Funktion. Sacubitril/Valsartan, ein ARB kombiniert mit einem Neprilysin-Inhibitor, reduziert bei Betroffenen mit LVEF ≤ 35 % die Hospitalisierung wegen Herzinsuffizienz und ­kardiovaskuläre Todesfälle effektiver als ACE-Hemmer. Zudem kann es myokardiale Ischämien durch Reduktion der LV-Wandspannung und Verbesserung der koronaren Zirkulation verringern.

Eine Metaanalyse mit mehr als 12 000 Personen mit atherothrombotischer KHK zeigt, dass Colchicin im Vergleich zu Placebo das Risiko für Herzinfarkt, Schlaganfall und Revaskularisation bei instabiler Angina signifikant senkt, ohne die kardiovaskuläre Mortalität oder das allgemeine Todesrisiko zu erhöhen [3]. Bei Erkrankten mit atherosklerotischer KHK und hohem Risiko für erneute Ereignisse sollte daher die Einnahme von niedrig dosiertem Colchicin (0,5 mg täglich) in Erwägung gezogen werden, um das Risiko für Myokardinfarkt, Schlaganfall und Revaskularisation zu reduzieren (Empfehlungsgrad IIa, Evidenzgrad A).

SGLT2-Inhibitoren mit nachgewiesenem kardiovaskulärem Nutzen werden bei Menschen mit Typ-2-­Diabetes und CCS zur Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse empfohlen, unabhängig von HbA1C-Werten und anderen blutzuckersenkenden Medikamenten. Der GLP-1-Rezeptoragonist Semaglutid sollte bei übergewichtigen (BMI > 27 kg/m²) oder Adipösen mit CCS, aber ohne Diabetes zur Senkung der kardiovaskulären Mortalität, des Herzinfarkt- oder Schlaganfallrisikos in Erwägung gezogen werden.

Koronarintervention

Die moderne Therapie des CCS durch Koronarinterventionen hat sich durch technologische Innovationen deutlich verbessert. Strahlenarme Röntgensysteme mit „Roadmap“-Funktion ermöglichen eine präzise und sichere Navigation der Katheter, während sie die Strahlenexposition für den Erkrankten minimieren (Abb. 3). Für Betroffene mit Niereninsuffizienz bieten kontrastmittelsparende Verfahren eine schonende Option, die das Risiko einer Kon­trastmittel-induzierten Nephropathie reduziert. Die Verwendung von intravaskulärem Ultraschall (IVUS) und optischer Kohärenztomografie (OCT) optimiert die Stentplatzierung und -expansion, insbesondere bei komplexen Läsionen wie Bifurkationen und Hauptstammstenosen (Abb. 4). Die „Protected PCI“ erhöht die Sicherheit bei Hochrisiko-Interventionen durch den Einsatz von ­mechanischen Unterstützungssystemen. Rotablation und intravaskuläre ­Lithotripsie bieten spezialisierte Techniken zur ­Behandlung stark verkalkter oder ­widerstandsfähiger Plaques, wodurch die Erfolgsrate der Prozeduren weiter gesteigert wird. Diese fortschrittlichen Methoden ermöglichen eine individuell angepasste und effiziente Behandlung der KHK, was zu verbesserten Langzeitergebnissen führt.

Die Wahl zwischen PTCA/Stentimplantation und Bypass-Operation (CABG) bei CCS-Erkrankten sollte individuell erfolgen und durch ein Team aus Kardiologen und Herzchirurgen abgestimmt werden. Bei komplexen Fällen, insbesondere, wenn PTCA und CABG gleichwertige Empfehlungen haben, ist eine gemeinsame Entscheidung wichtig, die Patientenpräferenzen, koronare Anatomie und Risikofaktoren berücksichtigt.

Die Bypass-Chirurgie wird bei jüngeren Personen mit signifikanten Hauptstammstenosen und niedrigem OP-Risiko bevorzugt, da sie das ­Risiko für Herzinfarkte und erneute Eingriffe verringert. In Fällen von Hauptstammstenosen mit geringer Komplexität, bei denen eine PTCA eine vergleichbare Vollständigkeit der Revaskularisation wie CABG erreichen kann, kann die PTCA als weniger invasive Alternative zur CABG gewählt werden. Bei höherem operativen Risiko im Falle einer Bypass-Operation sollte die interventionelle Therapie in einem erfahrenen Zentrum bevorzugt werden. Intrakoronare Bildgebung (IVUS, OCT) und Druckmessungen (FFR, iFR) sollten zur Entscheidungsfindung und Optimierung der Intervention ­genutzt werden.

Effektive Life-Style-Modifikation

Eine individuelle Diskussion über kardiovaskuläres Risiko und Behandlungsnutzen wird bei CCS-Betroffenen empfohlen. Multidisziplinäre Ansätze zur ­Förderung gesunder Lebensstile und eine adäquate medikamentöse Therapie sind wichtig.

Zur Lebensstilberatung gehört die Impfung gegen Influenza, Pneumokokken und andere Infektionen wie COVID-19. Die Behandlung schlafbezogener ­Atmungsstörungen wird ebenfalls empfohlen. ­Sexuelle Aktivität ist bei stabilen Patienten und ­Patientinnen mit CCS sicher, wobei bei Männern Phosphodiesterasehemmer nicht mit Nitraten kombiniert werden sollten, um schwere Hypotonien zu vermeiden. Psychosozialer Stress sollte vermieden und Depressionen entweder psychologisch oder ­medikamentös behandelt werden. Umweltverschmutzung durch Passivrauchen, Lärm und Luftverschmutzung sollte gemieden werden. Zur Kontrolle der Risikofaktoren wird eine Rauchentwöhnung durch verhaltensbezogene und pharmakologische Strategien unterstützt, wobei auch auf E-Zigaretten und Substanzen verzichtet werden sollte. Ein gesundes Körpergewicht (BMI 18,5–25 kg/m²) soll durch ­Ernährungsumstellung und körperliche ­Aktivität ­erreicht und gehalten werden. Das LDL-C-Ziel liegt bei < 1,4 mmol/l (55 mg/dl) mit einer ­Reduktion um ≥ 50 % vom Ausgangswert. Bei ­Diabetes wird ein HbA1C-Ziel von < 7,0 % empfohlen. Der Blutdruck sollte auf < 130/80 mmHg ­gesenkt werden, sofern dies gut verträglich ist. Der Alkoholkonsum sollte auf < 100 g/Woche begrenzt werden, während eine mediterrane Diät mit hohem Anteil an Gemüse, Obst und Vollkornprodukten und gesättigten Fettsäuren unter 10 % der Kalorienaufnahme empfohlen wird. Körperliche Aktivität sollte mindestens 30–60 Minuten an 5 Tagen pro Woche moderat ausgeübt werden, wobei Sitzzeiten reduziert und leichte Aktivitäten über den Tag verteilt werden sollten.

Diese Maßnahmen zielen darauf ab, die kardiovaskuläre Gesundheit von CCS-Erkrankten zu fördern und zukünftige Komplikationen zu reduzieren.

FAZIT:

Die evidenzbasierten Empfehlungen zu Diagnostik und Therapie des CCS implizieren die Verwendung eines stufenweisen Algorithmus, der klinische Wahrscheinlichkeit, bildgebende Verfahren und individuelle Risikofaktoren kombiniert, um präzise und objektivierbare Therapieentscheidungen zu ermöglichen.

Die medikamentöse symptomatische Therapie umfasst primär Betablocker, Calciumkanalblocker, Nitrate sowie zusätzliche Optionen wie Ranolazin oder Ivabradin. Prognoseverbessernde Medikamente sind v. a. die antithrombotische Therapie, moderne lipidsenkende Substanzen, Hemmer des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems und bei hohem Risiko und wiederholten Ereignissen auch ein antiinflammatorischer Ansatz.

Innovative Techniken im Herzkatheterlabor wie IVUS und OCT verbessern die Ergebnisse der Koronarintervention und ermöglichen auch die Therapie bei komplexen Läsionen und bei Patientinnen und Patienten mit hohem Risiko für eine Bypass-Operation.

Lebensstiländerungen und multidisziplinäre Ansätze zur Risikoreduktion bleiben essenziell für die langfristige Gesundheitsförderung von Koronarpatienten und -patientinnen.

Korrespondierender Autor

Dr. med. Sebastian Rogowski, MHBA
Geschäftsführender Oberarzt, Klinik für Kardiologie und Internistische Intensivmedizin, München Klinik Bogenhausen

sebastian.rogowski@muenchen-klinik.de

  1. Vrints C et al., Eur Heart J 2024; doi:10.1093/eurheartj/ehae177
  2. Marx N et al., Eur Heart J 2023; 44: 4043–140
  3. Andreis A et al., Eur J Prev Cardiol 2022; 28: 1916–25

Bildnachweis: magicmine (gettyimages); privat

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