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Onkologie

Psychoonkologie

Von der Diagnosestellung bis zur Heilung – oder bis zum Lebensende

Dr. med. Ulrike Markusch

Umgehen mit der Diagnose, Therapieentscheidungen treffen, Rezidivangst – Krebserkrankungen belasten Patienten und deren Angehörige psychisch oft erheblich. Die Psychoonkologie als Subdisziplin gewinnt daher zunehmend an Bedeutung in der Onkologie, sodass die Betreuung von Betroffenen und ihren Angehörigen durch alle Phasen der Erkrankung heutzutage einen festen Bestandteil der Behandlung darstellt.

Ängste, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung – eine Krebserkrankung ruft bei Betroffenen weitaus mehr hervor, als „nur“ physische Symptome. Neueste Forschungen haben gezeigt, dass 52 % der untersuchten Krebspatienten als Folge ihrer Erkrankung auch psychisch stark belastet sind.[1] Selbst bei zuvor psychisch gesunden Patienten können sich schnell depressive Störungen, Anpassungsstörungen, Angsterkrankungen sowie organisch bedingte psychische Störungen entwickeln. Für eine ganzheitliche Behandlung der Patienten ist es daher essenziell, sie auch auf psychologischer Ebene umfassend und individuell zu begleiten und zu beraten. Deshalb hat die Psychoonkologie in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend an Relevanz hinzugewonnen und sich mittlerweile als eine zentrale Subdisziplin in der Onkologie eta­bliert. Entscheidend für die Entwicklung einer praktischen Anwendung war dabei, dass sich die Forschung immer deutlicher von dem Versuch abwendete, die Entstehung der Krankheit psychosomatisch begründen zu wollen. Stattdessen entwickelte sich die Psychoonkologie zu einem Forschungszweig darüber, wie Betroffene hilfreiche Bewältigungsstrategien (Coping-Strategien) anwenden können, um mit ihrer Erkrankung zurechtzukommen. Dieser ressourcenorientierte Ansatz bestimmt heute ganz wesentlich die Inhalte der psychoonkologischen Begleitung Betroffener und deren Angehörigen.

Begleitung bei der Diagnosestellung

Obwohl die moderne Medizin mittlerweile für fast alle Krebserkrankungen wesentlich verbesserte Behandlungsmöglichkeiten bietet, löst die Diagnose bei vielen Patienten zunächst einen Schock aus. Häufig zeigt sich in den darauffolgenden Stunden bis Tagen eine akute Belastungsreaktion mit Derealisations- oder Depersonalisationserleben. Dies äußert sich z. B. darin, dass der Patient desorientiert ist und oft Details der ersten Arztgespräche gar nicht aufnehmen, geschweige denn sich später an sie erinnern kann. Zugleich ist er für negativ behaftete Worte des Arztes hochsuggestibel. Die akute Belastungsreaktion kann zudem von starken emotionalen Schwankungen des Patienten geprägt sein, die sich zwischen Trauer, Wut, Aggression, Misstrauen und Ängsten bis hin zur Panik oder auch scheinbarer Teilnahmslosigkeit bewegen können. Daher ist es notwendig, Betroffene bereits bei der Diagnosestellung psychoonkologisch zu unterstützen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich mit ihren Ängsten, ihrer Verzweiflung und ihrer Hilflosigkeit auseinandersetzen zu können und stattdessen Hoffnung, Ruhe und Halt vermittelt zu bekommen. Dauern die psychischen Symptome nach der akuten Belastungsreaktion an und gehen in eine posttraumatische Belastungsstörung über, tritt ein unwillkürliches und sich aufdrängendes Wiedererleben (Intrusion) in Form von Albträumen oder in Form sogenannter „Flashbacks“ auf, häufig ausgelöst durch „Trigger“. Das können Gerüche, Geräusche, Orte oder Personen sein, die mit der traumatisch erlebten Situation assoziiert werden. Der Patient versucht dann in der Regel, diese Trigger zu meiden. Das Erkennen solcher posttraumatischen Belastungsstörungen kann die Compliance des Patienten für die gesamte onkologische Behandlung deutlich erhöhen.

Diagnose

Psychologische Betreuung

„Vertrauen in das ärztliche Handeln reduziert effektiv die Ängste vor einer onkologischen Behandlung.“

Vertrauen in die Therapieentscheidung

Fast alle Krebspatienten äußern Ängste vor möglichen Nebenwirkungen der empfohlenen Therapie. Diese können so groß sein, dass sich Betroffene einer notwendigen Behandlung gar nicht oder nur unzureichend unterziehen möchten. Die Ängste vor Nebenwirkungen sind zum Teil begründet, zum Teil entspringen sie aber auch einer Unwissenheit über die neuesten Therapiemöglichkeiten. Betroffene sehen sich zunächst mit einer Situation konfrontiert, in der sie die Kontrolle über ihr eigenes Leben in die Hände anderer, ihnen meist unbekannter Menschen legen müssen. Gelingt es den Psychoonkologen, die vom Patienten selbst gesetzten Negativsuggestionen in eine positive Richtung hin zur Akzeptanz der Behandlung zu lenken, so sind die Nebenwirkungen erfahrungsgemäß geringer und seltener. Hypnotherapeutische Ansätze mit indirekten Suggestionen, Arbeit mit hilfreichen inneren Bildern sowie andere verbale Interventionen, die dem Patienten bei der Akzeptanz und Angstreduktion helfen, sind ein fester Bestandteil psycho­onkologischer Arbeit. Was für Ärzte selbs­tver­ständ­lich ist – nämlich bei auftretenden Nebenwirkungen gegenzusteuern –, sollte dem Patienten immer wieder versichert werden. Das Vertrauen in das ärztliche Handeln kann durch entsprechende Interventionen gestärkt werden und reduziert so effektiv die Ängste vor einer onkologischen Behandlung. Gleichzeitig ist es aber genauso wichtig, die Autonomie und die Bedürfnisse des Patienten zu stärken und ihn zu unterstützen, sollte er sich gegen eine der empfohlenen Therapien entscheiden.

Akuttherapie: veränderte Lebenssituation

In der Phase der Akuttherapie ist häufig eine kontinuierliche psychoonkologische Behandlung der stationären, aber auch der ambulant behandelten Krebspatienten notwendig, denn Betroffene müssen nicht selten mit einer Vielzahl an Belastungen und körperlichen Nebenwirkungen zurechtkommen. Patienten müssen dann darin unterstützt werden, ihr Selbstwertgefühl trotz der eingetretenen Veränderung wiederzuerlangen und den Verlust von körperlicher Unversehrtheit zu verkraften. Zudem kann bei den Patienten durch die Krebserkrankung oder durch die onkologische Therapie ein chronisches Erschöpfungssyndrom auftreten (Fatigue-Syndrom). Die verminderte Leistungsfähigkeit ist in vielen Fällen nur vorübergehend. Diese Information kann dem Betroffenen dabei helfen, den aktuellen Zustand zu akzeptieren, darauf Rücksicht zu nehmen und gleichzeitig gegenzusteuern. Der ärztliche Rat, dass moderater Sport und Bewegung die wirksamste Therapie sind, die Erschöpfung zu überwinden, wirkt der Tendenz des Patienten entgegen, sich wegen der Erschöpfung nur noch ausruhen zu wollen. Von psychoonkologischer Seite sollte eine Differenzialdiagnose erfolgen, ob ein Fatigue-Syndrom, eine depressive Symptomatik oder beides beim Patienten vorliegt. Die häufigsten psychischen Symptome während der Akuttherapie sind jedoch Ängste. Diese reichen von der Progredienzangst, also der Angst vor einem Fortschreiten der Krebserkrankung, über die Sorge um die Partnerschaft bis hin zu Ängsten vor der Belastung der Familie. Hier sind besonders die Angehörigengespräche wichtig, um einen offenen Austausch innerhalb der Familie zu ermöglichen und die Ängste aller zu reduzieren. Dazukommen Sorgen vor beruflichen Veränderungen, vor finanziellen Einbußen oder auch vor Veränderungen des sozialen Umfeldes sowie einer Vereinsamung. Die Patienten sollten deshalb zu einem Wechsel oder einer Anpassung ihrer Freizeitbeschäftigungen, zur Kontaktaufnahme mit Menschen in Krebssportgruppen oder auch für weiterführende ambulante Gesprächs- und Gruppenangebote in psychosozialen Krebsberatungsstellen ermutigt werden. Ziel muss es dabei immer sein, den Betroffenen einen Weg aufzuzeigen, mit Veränderungen ihrer Lebensplanung und den zahlreichen krankheitsbedingten Belastungen zurechtzukommen.

Rezidivängste nach der Heilung

Selbst bei Menschen mit einer geheilten Krebserkrankung können, häufig krisenhaft verstärkt vor den regelmäßigen Kontrolluntersuchungen, Progredienz- und Rezidivängste auftreten. Diese Ängste führen nicht selten dazu, dass Patienten nach einer erfolgreichen Krebsbehandlung nicht zu den empfohlenen Kontrolluntersuchungen kommen. Diese Ängste zu erkennen, zu behandeln und dadurch die Compliance der Patienten für eine adäquate Nachsorge zu erhöhen, ist ebenfalls Teil der psychoonkologischen Behandlung.

„Angehörige trauen sich oft nicht, ihre eigene Überforderung mit der Situation zu äußern.“

Palliativpatienten und Angehörige versorgen

Ist eine Krebserkrankung nicht heilbar, sind diese Patienten meist mit einer verkürzten Lebensperspektive konfrontiert. Die psychoonkologische Arbeit unterstützt Betroffene durch entsprechende Trauerarbeit dabei, das zu akzeptieren. Palliativpatienten reagieren oftmals mit depressiven Verstimmungen, Hoffnungslosigkeit und massiven Ängsten. Deshalb müssen ihre inneren Ressourcen reaktiviert werden, die ihnen auch vor der Erkrankung schon durch schwierige Zeiten geholfen haben, wie Mut, Geduld, Vertrauen in äußere Hilfe und innere Stärke. Eine sehr belastende Gesprächssituation besteht, wenn der Arzt dem Patienten und dessen Angehörigen mitteilen muss, dass eine weitere Tumortherapie nicht mehr sinnvoll ist, weil dadurch ohne Nutzen für eine Lebensverlängerung auch die Lebensqualität für die verbleibende Zeit durch Nebenwirkungen zu sehr beeinträchtigt würde. In dieser Situation ist es besonders wichtig, dass sowohl von ärztlicher als auch von psychoonkologischer Seite dem Patienten immer wieder versichert wird, dass man alles tun wird, um dennoch seine Symptome zu lindern. In Gesprächen über den individuellen Verlauf der Krankheit und auch über die weitere Versorgung des Patienten können Ängste durch Informationen abgebaut werden. In diesem Stadium ist die psychoonkologische Begleitung der Angehörigen sehr wichtig, da sie sich häufig nicht trauen, ihre eigene körperliche oder psychische Überforderung mit der Situation und der Pflege des schwerkranken Menschen zu äußern. Sie haben Angst, letzte Wünsche, Erwartungen oder Forderungen des Kranken nicht erfüllen zu können. Hier ist es Aufgabe der Psychoonkologen, zwischen den Wünschen des Patienten und den realistischen Möglichkeiten der Angehörigen zu vermitteln und eine für alle akzeptable Lösung zu finden. Schließlich sollten Psychoonkologen dem sterbenden Patienten und auch dessen Angehörigen durch Unterstützung in ihrer Trauerarbeit Ruhe sowie eine Akzeptanz des Abschieds vermitteln.

Tragende Säule in der onkologischen Therapie

Die psychoonkologische Begleitung ist heute ein fester Bestandteil in der Behandlung von Krebs­patienten und sollte jedem Patienten und jedem Angehörigen zu jedem Zeitpunkt der Krankheit zugänglich sein. Das wesentliche Merkmal psychoonkologischer Arbeit ist die Aktivierung von inneren und äußeren Ressourcen des Betroffenen, um sein Selbstvertrauen zu stärken, krankheitsbedingte Krisen zu überwinden und ihn sowie seine Angehörigen bei einem konstruktiven Umgang mit der Erkrankung zu unterstützen. Die psychoonkologische Begleitung fördert die Mitarbeit des Patienten in seiner Behandlung und trägt durch die psychische Entlastung zu einer Verbesserung seiner Lebens­qualität bei. Im Onkologischen Zentrum der Rotkreuzklinik Lindenberg legen wir deshalb großen Wert darauf, unsere Patienten und deren Angehörige ganzheitlich zu begleiten. Dadurch wird es für sie leichter, die Krankheit selbst bei womöglich lebensverkürzender Perspektive als eine Herausforderung zu akzeptieren, daran innerlich zu wachsen und das Leben sogar mehr wertzuschätzen.

Die Expertin

Fachärztin für Psychosomatische
Medizin und Psychotherapie,
Psychosoziale Onkologie
88161 Lindenberg

ulrike.markusch@swmbrk.de

[1] Mehnert A et al., Psychooncology 2018; 27(1): 75–82
[2] McCormick TR, Conley BJ. West J Med 1995; 163(3): 236–243

Bildnachweis: utah778, noipornpan (iStockphoto); privat

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