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Allgemeinmedizin

Metabolisches Syndrom und Lebensstil

Möglichst im Vorfeld gegensteuern

Dr. med. Svenja Meyhöfer, Prof. Dr. med. Sebastian M. Schmid

29.7.2021

Das metabolische Syndrom (MetS) ist mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko verbunden. Pathophysiologisch ist die Entwicklung eines MetS auf Adipositas und Insulinresistenz zurückzuführen. Lebensstilmodifikationen stellen die Grundlage der Behandlung dar und sind entscheidend zur Vorbeugung von Begleitkomplikationen.

Das metabolische Syndrom ist ein Komplex aus Stoffwechselerkrankungen mit global zunehmender Prävalenz. Überernährung und Bewegungsmangel mit daraus resultierender Adipositas definieren das Risiko für dessen Entwicklung. Das MetS umfasst die Komponenten abdominelle Adipositas, Insulinresistenz, Dyslipidämie und Hypertonie. Das Risiko für die Entwicklung ist zudem mit einer Reihe von biologischen, psychosozialen sowie umweltbedingten Faktoren ­assoziiert. Ein Lebensstil aus Bewegungsmangel, ­Fehlernährung, Schlafmangel und Stress spielt dabei eine entscheidende Rolle. Des Weiteren nehmen eine familiäre Prädisposition und genetische Faktoren Einfluss auf die Entwicklung eines MetS. Bei Vorliegen von endokrinen Erkrankungen wie einer Hypothyreose, Cushing-Syndrom oder bei Depressionen, Essstörungen oder der Einnahme von bestimmten Medikamenten (z. B. Antidepressiva, Neuroleptika, Phasenprophylaktika, Antiepileptika, Antidiabetika, Glukokortikoide, Kontrazeptiva oder Betablocker) kann das Risiko für die Entwicklung eines MetS zudem erhöht sein. Weltweit existieren multiple Definitionen des MetS. Aktuell sind international aber hauptsächlich zwei dieser Definitionen für die Diagnose gebräuchlich (s. Artikel/Tabelle unter www.der-privatarzt.de).

Komorbiditäten/Komplikationen

Treten mehrere Einzelkomponenten des MetS ­gemeinsam auf, erhöht dies das Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen mit z. T. schwerwiegenden Ereignissen. Aktuelle Studien zeigen ein 2-fach ­erhöhtes Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie ein 5-fach erhöhtes Risiko für die Entwicklung eines manifesten Diabetes mellitus Typ 2 (T2DM) bei Patienten mit MetS. Die Framingham-Nachkommensstudie belegte, dass das Vorhandensein eines MetS über einen Zeitraum von acht Jahren etwa die Hälfte der neu diagnostizierten Diabetesfälle ausmacht. Bei Frauen mit MetS ist das Risiko für einen Gestationsdiabetes sowie die nachfolgende Entwicklung eines T2DM deutlich erhöht. Des Weiteren ist das Risiko für eine koronare Herzerkrankung (KHK) und einen Schlaganfall sowohl bei Männern als auch Frauen mit MetS bis zu 3-fach gesteigert. Weitere mit dem MetS assoziierte Komorbiditäten sind der Abbildung zu entnehmen.

Lebensstilmodifikationen essenziell

Die schwerwiegenden Komorbiditäten verdeutlichen die Notwendigkeit eines frühzeitigen Screenings von möglichen Risikopersonen sowie eines zeitgerechten Therapiebeginns. Bereits die Präventionsmaßnahmen sollten in unserer modernen Gesellschaft im Bewusstsein jedes Einzelnen fest verankert sein. Aus dem gemeinsamen Konsensus-Bericht der American ­Diabetes Association (ADA) und der European Association for the Study of Diabetes (EASD) von 2018 geht hervor, welch großen Stellenwert die „selbstgesteuerte“ Lebensstilintervention mit Gewichts­reduktion in der Therapie des MetS einnimmt. Für eine erfolgreiche Modifikation des Lebensstils ist die koordinierte Durchführung von ernährungs-, bewegungs- und verhaltenstherapeutischen Interventionen in einem interdisziplinären Team not­wendig. Im Zuge einer ernährungsmedizinischen Intervention sollte das Essverhalten zunächst standardisiert evaluiert und die Energiezufuhr kontrolliert gesenkt werden. Dabei sollte die Nahrungszusammensetzung vor dem Hintergrund bestehender ­Komorbiditäten optimiert werden. Der Verzehr von Nahrungsmitteln mit hoher Energiedichte wie zuckerhaltige Softdrinks, Fast Food und Alkohol sind zu vermeiden. Der Konsum von energieärmeren Nahrungsmitteln (z. B. Vollkornprodukte, Gemüse, Salat) kann dabei einer Gewichtszunahme entgegenwirken. Metaanalysen konnten zeigen, dass die Reduktion der Fettaufnahme über einen Zeitraum von sechs Monaten zu einer klinisch relevanten Gewichtsreduktion führen kann. Neben den klassischen Schulungen für Lebensstilmodifikation können auch gemein­same Einkaufstrainings und Kochschulungen mit den ­Patienten hilfreich sein. Weiterhin sind verhaltenstherapeutische Maßnahmen essenzieller Bestandteil von Lebensstilinterventionen. Eine strukturierte ­Analyse von möglichen Einflussfaktoren wie Stress, Emotionen sowie psychiatrische Vor-/Begleiterkrankungen ist wichtig, um eine Hyperalimentation zu ­detektieren und beeinflussen zu können. Im Verlauf können zudem weitere Faktoren verhaltenstherapeutisch adressiert werden, wie das Erlernen von ­Coping-Strategien, der Umgang mit der Stimuluskontrolle sowie das Umschwenken von rigidem zu flexibel strukturiertem Ess- und Aktivitätsverhalten. Standardisierte, teils kommerzielle Gewichtsreduktionsprogramme beinhalten z. T. diese multimodalen Therapiestrategien und sollten daher Patienten mit MetS aktiv ange­boten und empfohlen werden.

Prädiktion durch BMI und Taillenumfang

Zum Screening sowie zur Verlaufsbeurteilung von Patienten mit MetS eignet sich vor allem die Messung des Body-Mass-Index (BMI) und des Taillenumfangs. Beide gelten als unabhängige Prädiktoren für kardiovaskuläre Ereignisse. Der Taillenumfang scheint jedoch für das Abschätzen des kardiovaskulären ­Risikos besser geeignet als die Beurteilung des BMI. Frauen mit einem Taillenumfang ≥ 80 cm und Männer mit ≥ 94 cm sollten nicht weiter an Gewicht zunehmen. Liegt der Taillenumfang bei Frauen bereits bei ≥ 88 cm und bei Männern bei ≥ 102 cm, sollte eine Empfehlung für eine Gewichtsabnahme ausgesprochen werden. Grundsätzlich gilt zudem, eine Therapie zu beginnen, wenn der BMI über 30 kg/m2 liegt. Bei einem BMI zwischen 25 und 30 kg/m2 sollte eine Therapie eingeleitet werden, sofern gleichzeitig ­Komorbiditäten wie eine arterielle Hypertonie oder ein T2DM, ein erweiterter Taillenumfang durch abdominelle Adipositas oder ein hoher psychosozialer Leidensdruck vorliegt. Die anzustrebende Gewichtsreduktion beträgt bei Personen mit einem BMI von ≥ 25 kg/m2 mindestens 5 % vom Ausgangsgewicht innerhalb von sechs bis zwölf Monaten. Bei Personen mit einem BMI ≥ 35 kg/m2 sollte das Ziel der Gewichtsreduktion bei mindestens 10 % des Ausgangs­gewichts liegen. Nach Erreichen der Gewichtsreduktionsziele zielt die Behandlung auf eine langfristige Gewichtsstabilisierung ab.

Cholesterinwerte senken

Zur Therapieindikation bei Dyslipidämie wird nach den neuen Richtlinien der European Society of Cardiology (ESC) und der European Atherosclerosis Society (EAS) empfohlen, eine individuelle, kardiovaskuläre Risikostratifizierung durchzuführen. Das bedeutet, es soll für jeden Patienten das 10-jährige Risiko, ein tödliches kardiovaskuläres Ereignis zu ­erleiden, berechnet werden. Hierfür wird das SCORE-(systematic coronary risk estimation)Tool der ESC/EAS verwendet. Zur Risikobewertung fließen ­die Faktoren Geschlecht, Alter, Raucher/Nichtraucher, systolischer Blutdruck und Gesamtcholesterin ein. Für die Kategorisierung des 10-Jahres-Risiko-Scores inklusive der empfohlenen LDL-C-Zielwerte siehe Titelthema „Fettstoffwechselstörungen“ (S. 8–10).

Insulinresistenz und Adipositas

In vielen Fällen liegt bei Patienten mit Adipositas bereits eine Insulinresistenz oder ein manifester Diabetes vor. Eine entscheidende Komponente in der Prävention und Therapie eines T2DM spielt dabei die Gewichtsreduktion. Bereits eine Reduktion von 5 % des Körpergewichts führt zu einer signifikanten Verbesserung des Blutglucosespiegels. Die Effektivität einer Gewichtsreduktion zeigte u. a. die Finnish Diabetes Prevention Study, in der die Progression eines Prädiabetes zu einem T2DM durch Lebensstilinterventionen um 58 % gesenkt werden konnte. Zudem kann eine Senkung der Gesamtmortalität um etwa 25 % durch eine Gewichtsverringerung um 10 kg bei Menschen mit T2DM erreicht werden.

Körperliche Bewegung

Personen mit einem aktiven Lebensstil und ausreichend körperlicher Aktivität können deutlich leichter eine Stabilisierung des Körpergewichts erreichen. Die neuen amerikanischen Leitlinien für körperliche Aktivität beschreiben, dass Erwachsene den effektivsten Nutzen körperlicher Aktivität erzielen, wenn sie regelmäßig 150 bis 300 Minuten pro Woche mit mäßiger Intensität oder 75 bis 150 Minuten pro Woche mit intensiver Aktivität oder eine äquivalente Kombination aus mäßiger und kräftiger aerober Aktivität durchführen. Diese Richtlinien betonen, dass insbesondere Aktivität im aeroben Bereich und auch kürzere Einheiten von körperlicher Bewegung besonders effektiv sind. Patienten sollten daher ermuntert werden, sich körperlich zu betätigen. Insbesondere solche mit chronischen Komorbidi­täten und erhaltener Bewegungsfähigkeit können durch aerobe körperliche Aktivität das kardiovaskuläre Risiko senken.

Medikamentöse Therapiemaßnahmen

Bei gleichzeitigem Vorliegen eines manifesten T2DM wird nach dem aktuellen ADA/EASD-Konsensus-­Report zur Verbesserung der metabolischen Komponenten zusätzlich zu Metformin (Therapie der 1. Wahl) eine Kombinationstherapie mit GLP-1-Analoga oder SGLT2-Inhibitoren empfohlen. Auch eine Triple-Therapie kann bei Nichterreichen der Therapieziele durchgeführt werden. SGLT2-Inhibitoren hemmen den Natrium-Glucose-Cotransporter-2 (SGLT2) im proximalen Tubulus der Niere, über den die Glucose nahezu vollständig rückresorbiert wird. Somit wird vermehrt Glucose über die Niere ausgeschieden. Über die Aktivierung weiterer Mechanismen, u. a. eine gesteigerte Lipolyse oder Aktivierung der energieaufwendigen Gluconeo­genese, wird ein Energieverlust von etwa 250–300 kcal pro Tag erreicht und folglich eine Gewichtsreduktion ermöglicht. Die SGLT2-Inhibitoren sind nur für die Behandlung des Diabetes, nicht der Adipositas ohne Diabetes, zugelassen und bewirken eine dosisabhängige moderate Gewichtsabnahme von etwa 1,5–2 kg im Vergleich zu Placebo. GLP-1-Rezeptor-Agonisten binden an den Glucagon-like-peptide-1-Rezeptor und führen zu einer Verbesserung der Glucosestoffwechsellage, weswegen diese Substanzklasse seit Jahren erfolgreich in der Therapie des T2DM eingesetzt wird. Zudem können sie effektiv das Körpergewicht reduzieren. Auch bei Patienten ohne Diabetes konnte durch GLP-1-Agonisten bereits eine deutliche Gewichtsreduktion erzielt werden – ohne Risiko für eine Hypoglykämie. Eine Metaanalyse aus mehreren Studien, in der adipöse ­Patienten mit und ohne Diabetes einen GLP-1-Rezeptor-­Agonisten erhielten, zeigte eine durch­schnittliche Abnahme des Körpergewichts von etwa 3–4 kg. Die höchste Effektivität bezüglich der Körpergewichts­reduktion konnte ganz aktuell für den einmal wöchentlich zu applizierenden und derzeit für Adipositastherapie im Zulassungsverfahren befindlichen Wirkstoff Semaglutid 2,4 mg gezeigt werden. Die Gewichtsabnahme betrug dabei rund 15 % über die Studiendauer von 68 Wochen. Bisher ist jedoch Liraglutid der einzige GLP-1-Rezeptor-Agonist, der für die Behandlung der Adipositas auch ohne bestehende Diabetes­erkrankung (BMI > 27 kg/m2 mit Begleiterkrankung oder BMI > 30 kg/m2) in der Dosierung von 3 mg/Tag zugelassen ist. Die Zulassung basiert auf den Daten des SCALE-Studienprogramms. Der Gewichtsverlust unter der Therapie mit 3 mg Lira­glutid lag nach 56 Wochen bei etwa 8–9 % des Ausgangsgewichts. Aktuell laufen Studien zu der Inkretin-basierten Kombination aus GIP (Gastric Inhibitory Peptide oder Glucose dependent Insulinotropic Polypeptide) und GLP-1-Agonisten. Für eine frühzeitige Therapie bei Patienten mit MetS könnten hier zukünftig vielversprechende Therapieoptionen entstehen.

FAZIT:

Das MetS ist auf Überernährung und Bewegungsmangel mit daraus resultierender Adipositas zurückzuführen und beinhaltet die Komponenten Dyslipidämie, arterielle Hypertonie sowie Insulinresistenz mit Störung des Glucosestoffwechsels. Das Vorliegen eines MetS führt zu erhöhten Risiken für kardiovaskuläre Erkrankungen mit z. T. schwerwiegenden Ereignissen sowie weiteren zahlreichen Komplikationen. Ein frühzeitiger Therapiebeginn, besser noch Präventivmaßnahmen, spielen eine wichtige Rolle zur Vermeidung von Begleitkomplikationen eines MetS.

Die Autorin

Dr. med. Svenja Meyhöfer
Assistenzärztin
Institut für Endokrinologie und Diabetes
Medizinische Klinik I
UKSH Campus Lübeck

svenja.meyhoefer@uni-luebeck.de

Der Autor

Prof. Dr. med. Sebastian M. Schmid
Direktor am Institut für Endokrinologie und Diabetes
Medizinische Klinik I
UKSH Campus Lübeck

sebastian.schmid@uni-luebeck.de

Literatur bei den Autoren

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