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Dermatologie

Genodermatosen

Diagnose und Therapie

Univ.-Prof. Dr. med. Jorge Frank

13.10.2020

Die Haut als eines der größten immunologisch aktiven Organe ist zahlreichen externen und internen Allergenen ausgesetzt, die eine Vielzahl allergischer Reaktionen triggern können. Neben Umwelteinflüssen rücken insbesondere genetische Faktoren als Allergieauslöser in den Vordergrund.

In dieser Übersicht werden einige ausgewählte Genodermatosen vorgestellt, die man trotz ihrer Seltenheit im Rahmen der Differenzialdiagnose allergischer Hauterkrankungen kennen und nicht übersehen sollte.

Ichthyosis vulgaris

Bei den Ichthyosen handelt es sich um eine Gruppe sich generalisiert manifestierender erblicher Verhornungsstörungen, die durch Schuppenbildung und zumeist auch eine Entzündungsreaktion der Haut gekennzeichnet sind. Die verschiedenen Erkrankungen können mit schwerwiegenden physischen und psychischen Veränderungen und einer Einschränkung der Lebensqualität assoziiert sein. Ihre Gesamtprävalenz liegt bei ca. 1:100.000 Einwohnern, wobei in diese Schätzung Patienten mit nicht-syndromaler Ichthyosis vulgaris (Prävalenz 1:250) und X-chromosomal rezessiver Ichthyose (Prävalenz 1:2.000 bei Männern) nicht einbezogen sind. Des Weiteren werden die lamelläre Ichthyose und die bullöse kongenitale ichthyosiforme Erythrodermie Typ Brocq zu den nicht-syndromalen Ichthyosen gezählt, die sich ausschließlich mit Hautsymptomen manifestieren. Die Ichthyosis vulgaris (IV) ist die häufigste hereditäre Verhornungsstörung und daneben auch eine der meist frequenten monogen erblichen Genodermatosen. Die klinischen Merkmale der Erkrankung sind eine feinlamelläre Schuppung, vorwiegend an den Extremitäten und am Abdomen, palmare Hyperlinearität und Keratosis. In Hautbiopsien von Patienten mit IV finden sich oftmals pathologische Veränderungen der Keratohyalingranula im Stratum granulosum, und schon vor mehr als 20 Jahren fanden Sybert und Kollegen eine reduzierte FLGN-Expression in der Haut dieser Patienten. Nach Kopplungsanalysen im Jahr 2002 wurde FLGN erstmals als ein mögliches Kandidatengen für die IV beschrieben, jedoch konnten damals aus amplifikationstechnischen Gründen nur einige wenige Regionen des FLGN-Gens auf Sequenzabweichungen untersucht werden, ohne dass zunächst Mutationen gefunden werden konnten. Nach Lösung der zuvor erwähnten technischen Probleme im Zusammenhang mit der PCR-Amplifikation des FLGN-Gens gelang der Arbeitsgruppe um McLean Anfang 2007 dann doch der Nachweis von Mutationen bei Patienten mit IV. Die Autoren fanden zwei rekurrente Mutationen, p.R510X und c.2282del4, in 15 Familien und konnten zeigen, dass die IV eine semi-dominante Erkrankung ist. Während heterozygote Merkmalsträger keinen oder nur einen sehr milden Phänotyp aufwiesen, war das klinische Bild bei verbunden heterozygoten und homozygoten Patienten aufgrund einer massiven Beeinträchtigung der Hautbarrierefunktion sehr stark ausgeprägt. Interessanterweise sind die beiden häufigsten Mutationen p.R510X und c.2282del4 in der allgemeinen Bevölkerung weit verbreitet und wurden in ca. 9 % der europäischen Population gefunden.

Netherton-Syndrom

Das Netherton-Syndrom (NS; Synonyme: Comèl-Netherton-Syndrom, Bambushaar-Syndrom, Erythroderma ichthyosiforme congenitum) ist eine seltene, autosomal-rezessiv vererbte Ichthyose, die 1949 erstmalig beschrieben wurde. Die seltene Erkrankung weist eine Inzidenz von etwa 1:200.000 und eine Prävalenz von 1:100.000 auf. Die Symptome können denen einer atopischen Dermatitis (AD) ähneln. Es zeigen sich kurze, abgebrochene Haare im Sinne einer Trichorrhexis invaginata (Bambushaar), Pili torti (Torsionshaare) oder Monilethrix (Spindelhaare). Die Haarveränderungen können auch die Wimpern und Augenbrauen betreffen. Die Hautveränderungen manifestieren sich zumeist kurz nach der Geburt als ichthyosiforme Erythrodermie. Als Komplikationen können sich eine Hyponatriämie, Gedeihstörung, Hitzeintoleranz und neurologische Defizite entwickeln. Die in Schüben auftretende Erythrodermie ist durch polyzyklische, serpiginöse Plaques mit erythematösem Randsaum und charakteristischer „double-edged“ Schuppung gekennzeichnet und wird auch als Ichthyosis linearis circumflexa bezeichnet. Laborchemisch finden sich ein erhöhter Gesamt-IgE-Wert, ggf. eine Eosinophilie und/oder eine intermittierende Aminoazidurie. Der Erkrankung liegen Mutationen im SPINK-5-Gen zugrunde, das für den Serin-Protease-Inhibitor LEKTI (lympho-epithelial Kazal-type inhibitor) kodiert. LEKTI wird in Epithelien, Thymus, Tonsillen, Nebenschilddrüse und Trachea exprimiert. LEKTI wird außerdem im Stratum corneum, Stratum granulosum und den Hautanhangsgebilden exprimiert und in­hibiert eine Reihe von Serin-Proteasen, hierunter Plasmin, Trypsin, Subtilisin A, Cathepsin G oder Elastase. Die verminderte epidermale Expression von LEKTI führt zu einer Hyperaktivität proteolytischer Enzyme und resultiert in einer übermäßigen hydrolytischen Aktivität. Durch die fehlerhafte desmosomale Verankerung kommt es zu einer insuffizienten Stratum-corneum-Adhäsion, durch eine fehlerhafte Keratinisierung zu einer Hyperkeratose sowie einer herabgesetzten Hautbarrierefunktion. Das NS ist eine wichtige Differenzialdiagnose nicht nur der AD, sondern auch der nachfolgend dargestellten Krankheitsbilder des Peeling-Skin-Syndroms und des SAM-Syndroms. Milde Formen können fälschlicherweise als AD fehldiagnostiziert werden, was fatale Folgen haben kann, da es als Folge eines begleitenden Immundefektes zu rezidivierenden Superinfektionen mit Septikämien kommen kann.

Peeling Skin-Syndrom

Unter dem Begriff „Peeling Skin-Syndrom“ (PSS) wird eine Gruppe seltener, autosomal-rezessiv vererbter Formen der Ichthyose zusammengefasst. Klinisch ist das Krankheitsbild durch eine superfizielle, symptomlose, spontan auftretende Abschilferung der Haut gekennzeichnet, die histopathologisch durch eine Ablösung der obersten Epidermisschichten reflektiert wird. Das PSS kann sich entweder an den Akren lokalisiert entwickeln (akrales PSS) oder in einer generalisierten Form auftreten, wobei ein nicht-entzündlicher Typ (PSS Typ A) und eine entzündlichen Variante (PSS Typ B) unterschieden werden. Da einige Patienten nicht eindeutig klassifiziert werden können, gibt es möglicherweise auch weitere Subtypen des PSS.

SAM-Syndrom

Das SAM-Syndrom (Schwere Dermatitis, multiple Allergien und metabolische Dysfunktion) wird durch homozygote Mutationen im Desmoglein- 1-Gen verursacht, das für das gleichnamige desmosomale Plaqueprotein kodiert. Mittlerweile wurden weitere Desmoglein-1-Mutationen bei Patienten unterschiedlicher ethnischer Abstammung mit SAM-Syndrom identifiziert. Im Jahr 2015 berichteten McAleer und Kollegen über einen damals 4-jährigen kaukasischen Patienten, das erste Kind gesunder, nicht miteinander verwandter Eltern. Der Junge wurde mit einer Kollodiummembran geboren und wies bereits in den ersten Lebenstagen eine Erythrodermie mit großflächiger Hautschuppung und -ablösung auf. Im Alter von sechs Monaten zeigten sich eine Erythrodermie, Ichthyose, palmoplantare Keratodermie mit Nageldystrophie und eine diffuse Hypotrichose. Daneben wies er eine intermittierende superfizielle Pustulose und therapierefraktären Pruritus auf. Während der ersten drei Lebensjahre erkrankte er wiederholt an einer systemischen Staphylococcus-aureus-Sepsis, was mehrere stationäre Aufenthalte mit intravenöser antibiotischer Therapie erforderlich machte. Neben einer Entwicklungsverzögerung fielen wiederholtes Erbrechen, Bauchschmerzen, Diarrhoe und eine Nahrungsmittelaversion auf. Diagnostisch zeigten sich eine konstante periphere Eosinophilie, ein erhöhtes Gesamt-IgE und spezifisches IgE gegen Ei, Erdnuss und Weizen.

Unter der Diagnose einer generalisierten kongenitalen Ichthyose und eines SAM-Syndroms wurde zunächst eine DNA-Analyse verschiedener Ichthyose-Gene und des Desmoglein-1-Gens durchgeführt, die jedoch keine Mutationen in diesen Genen aufzeigen konnte. Mittels anschließender Komplett-exom-Sequenzierung entdeckten die Autoren dann eine heterozygote de-novo-Mutation in Exon 14 des Desmoplakin-Gens, p.H586P.

Diagnostik der Genodermatosen

Genodermatosen sind klinisch und molekulargenetisch sehr heterogen. Hierbei kann die Art und Distribution der Effloreszenzen von entscheidender diagnostischer Bedeutung sein, da sich dem erfahrenen Dermatologen nach klinischer und dermatohistopathologischer Untersuchung sehr früh weitreichende Krankheitszusammenhänge erschließen. Derartige Zusammenhänge könnten Kollegen aus anderen Fachdisziplinen entgehen, da diese üblicherweise keine vollständige Untersuchung der Haut und angrenzenden Schleimhäute ihrer Patienten durchführen. Ist der Gendefekt einer Hauterkrankung bekannt, kann die klinische Diagnose anschließend durch eine DNA-Analyse bestätigt werden. Da Genodermatosen selten sind, besteht oftmals Unsicherheit bezüglich des diagnostischen Vorgehens. In einer kürzlich erschienenen Übersichtsarbeit stellten Tantcheva-Poór et al. einen mehrstufigen diagnostischen Algorithmus in Anlehnung an ein kürzlich für die hereditären Epidermolysis-bullosa-Erkrankungen eingeführtes Diagnostikschema vor, das laut den Autoren bei nahezu allen monogen vererbten Hauterkrankungen angewendet werden kann.

Das konkret vorgeschlagene diagnostische Vorgehen beinhaltet die folgenden Schritte:

1. Erkennen von spezifischen klinischen Merkmalen (sogenannten „red flags“) für Genodermatosen.

2. Erhebung einer eingehenden (Familien)Anamnese.

3. Eine vollständige körperliche Untersuchung, einschließlich der Haare, Nägel und Zähne sowie der Genital- und Mundschleimhaut. Suche nach extrakutanen Manifestationen.

4. Weiterführende histopathologische und Laboruntersuchungen (biochemisch, enzymatisch und molekulargenetisch).

5. Versuch einer Genotyp-Phänotyp-Korrelation.

6. Archivierung einer detaillierten Beschreibung der klinischen Merkmale und ggf. von Untersuchungsmaterial bei unklaren Fällen, sodass eine Revision zu einem späteren Zeitpunkt ermöglicht wird.

Der Dermatologe hat im Rahmen der Diagnosefindung bei einer seltenen hereditären Hauterkrankung eine zentrale Rolle, insbesondere hinsichtlich der folgenden Aspekte:

1. Frühe Erkennung und korrekte Zuordnung charakteristischer Hautsymptome bei Genodermatosen.

2. Positionierung als aktives Mitglied eines multidisziplinären Teams mit besonderer Expertise bezüglich der Hautmorphologie, -funktion und behandlung.

3. Einleitung einer weiterführenden diagnostischen Abklärung und/oder die Überweisung von Patienten in ein spezialisiertes Zentrum, um dort eine derartige Abklärung bzw. ein spezifisches Therapieregime zu initialisieren.

4. Aufbau krankheitsspezifischer Register zur Dokumentation des individuellen Krankheitsverlaufs und zur Korrelation klinischer und molekularer Daten.

Therapie

Die Therapie von Genodermatosen ist schwierig und in der Regel rein symptomatisch. Die Basis für die Entwicklung kausaler zielgerichteter Behandlungskonzepte ist in der Regel stets die Identifikation des zugrunde liegenden Gendefekts bzw. der verschiedenen genetischen Faktoren, die zur Manifestation dieser multifaktoriellen Erkrankung beitragen. Mittlerweile ist es unbestritten, dass in allen ethnischen Gruppen FLGN-Mutationen nicht nur eine wichtige Rolle in der Entstehung der AD spielen, sondern auch maßgeblich zum sogenannten „atopischen Marsch“ beitragen, dem Übergang von der AD, zu weiteren assoziierten atopischen Erkrankungen wie der allergischen Rhinitis, dem Asthma bronchiale und Lebensmittelallergien. Somit kristallisierte sich bereits vor einigen Jahren die Rekonstitution der epidermalen FLGN-Expression, und damit einhergehend eine Reparatur der epidermalen Hautbarriere, als ein wesentliches therapeutisches Ziel in der Behandlung der AD, der IV und verschiedener anderer atopischer Erkrankungen heraus. Mit diesem Ziel vor Augen entwickelten Stout und Kollegen ein Molekül für die zielgerichtete Therapie FLGN-defizienter Erkrankungen auf Basis der Kopplung eines funktionellen FLGN-Monomers an ein spezifisches zellpenetrierendes Peptid (CPP, cell penetrating peptide). Getestet werden sollte, ob dieses Molekül in der Lage ist, die Epidermis zu durchdringen und als zielgerichtete Therapie für die AD dienen kann. Hierzu wurde eine einzelne Repetitionssequenz des murinen FLGN-Gens zwecks Produktion eines stabilen Proteinprodukts in ein bakterielles Expressionssystem kloniert. Nach Purifikation des resultierenden Fusionsproteins (mFLGþRMR) wurde dieses in vitro zum einen in eine HEK-293T-Zellkultur und zum anderen auf ein rekonstruiertes humanes Epidermismodell gegeben. Mittels immunhistochemischer Techniken konnten die Autoren demonstrieren, dass sowohl eine Aufnahme des Fusionsproteins in HEK-293T-Zellen nachweisbar war als auch eine Penetration von mFLGþRMR in das Stratum corneum des Hautmodells, also in genau die epidermale Zellschicht, in der FLGN üblicherweise zur Expression kommt und wo es pathogenetisch relevant ist. Die topische In-vivo-Applikation des Fusionsproteins mFLGþRMR auf die Haut der FLGN-defizienten Mausmutante flaky tail (ft/ft), einem Mausmodell für die AD, führte zur Interna-lisierung und Prozessierung des rekombinanten Fusionsproteins und zur vollständigen Phänotyp-reversion.

Kommentar: Die Untersuchungen von Stout et al. zu den therapeutischen Möglichkeiten eines rekom­binanten FLGN-Fusionsproteins zeigen eindrucksvoll, dass topisch appliziertes mFLGþRMR die Epidermis penetrieren kann, von verschiedenen Zelltypen, aber insbesondere auch von Keratinozyten des Stratum corneums internalisiert und darüber hinaus auch zu Molekülen prozessiert wird, die in Größe und Funktion den Eigenschaften von Wildtyp-FLGN ähnlich sind, die epidermale Hautbarriere wiederherzustellen vermögen und somit als therapeutisches Agens für die AD und IV dienen können.

Der Autor

Univ.-Prof. Dr. med. Jorge Frank
Klinik für Dermatologie, Venerologie und ­Allergologie Universitätsmedizin Göttingen
Robert-Koch-Str. 40  |  37075 Göttingen

jorge.frank@med.uni-goettingen.de

Literatur beim Autor

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