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Seltene Erkrankungen

Genmutation im Frataxin-Gen

Hereditäre Neuropathie

Dr. med. Yuri Sankawa

17.5.2024

Die Friedreich-Ataxie (FRDA) ist die häufigste genetisch bedingte Ataxie und betrifft ungefähr die Hälfte aller Ataxien. Die Erkrankung verursacht progrediente neurodegenerative Veränderungen, die sowohl das zentrale als auch das periphere Nervensystem beeinflussen.

Im Unterschied zu anderen hereditären Neuropathien tritt die FRDA mehrheitlich schon in jungen ­Jahren auf, d. h. hauptsächlich zwischen dem 8. und 15. Lebensjahr. Die Erkrankung kommt häufiger bei Kaukasiern vor (1 : 29 000) als bei Menschen anderer Ethnie; die globale Prävalenz wird mit 1 : 40 000 angegeben. Aufgrund des autosomal-­rezessiven Erbgangs sind Frauen wie Männer gleich häufig ­betroffen [1]. 

Die neurodegenerativen Veränderungen bei der FRDA sind vornehmlich in den sensorischen Neuronen, im Kleinhirn sowie den Hinterstrangbahnen lokalisiert, welche mechanische Signale der Haut, der Tiefensensibilität sowie Gelenkstellung weiterleiten. Ende der 1980er-Jahre wurde das Gen Frataxin (FXN) identifiziert, das bei 96 % der Patientinnen und Patienten mit FRDA betroffen ist: Eine homozygote GAA-Triplet-Repeat-Expansion im ersten Intron des FXN-Gens führt zur reduzierten Expression des Proteins, das u. a. für die mitochondriale ATP-Produktion sowie Regulierung der Eisen-Homöostase von kritischer Bedeutung ist. FXN-defiziente Zellen können eine erhöhte Anfälligkeit gegenüber oxidativem Stress aufweisen: Ohne FXN akkumuliert Eisen innerhalb der Mitochondrien und reagiert mit Sauerstoff, sodass freie Radikale entstehen und die mitochondrialen antioxidativen Kapazitäten beeinträchtigt sind [1,2]. Neuronen und Kardiomyozyten gelten als besonders vulnerabel, da sie den größten Anteil an FXN produzieren [3]. Neurologisch ist diese Form der ­Heredoataxie  vor allem durch eine gestörte Bewegungskoordination, Haltungsinstabilität, Spastik, ­Myasthenie und dem Verlust von Oberflächen- und Tiefensensibilität sowie der Sehnenreflexe gekennzeichnet. Die Betroffenen verlieren im Verlauf von 10–15 Jahren ab Krankheitsbeginn ihre Geh- und Standfähigkeit und werden rasch rollstuhlpflichtig [2]. Des Weiteren können Dysarthrie, Dysphagie, okulomotorische Störungen, Hörstörungen sowie autonome Symptome im Bereich der ­Blasen- und Mastdarmfunktion hinzukommen.

Multisystemische Manifestation

Nicht selten finden sich begleitende internistische (z. B. Diabetes mellitus), psychiatrische (z. B. Depression) und orthopädische Erkrankungen (z. B. Skoliose, kombinierte Fußdeformität „Friedreich-Fuß“), die eine multidisziplinäre Versorgung erforderlich machen. Von internistischer Seite muss auch an ein engmaschiges kardiologisches Monitoring gedacht werden, da kardiologische Erkrankungen die häufigste Todesursache (v. a. hypertrophe Kardio­myopathie) bei Personen mit FRDA sind. Die Mehrheit der Betroffenen erreicht bei reduzierter Lebenserwartung ein Alter von 25–30 Jahren [1].

Die Sicherung der FRDA-Diagnose erfolgt über den molekulargenetischen Nachweis. Die klinische Diagnose der FRDA kann problematisch sein, da das Spektrum der möglichen Differenzialdiagnosen breit ist und sich einige der klinischen Anzeichen überlappen. Wichtige Hinweise können die positive ­Familienanamnese oder der Befund einer Kardiomyopathie sein. Phänotypisch kann der erworbene Vitamin-E-Mangel einer FRDA besonders ähnlich aussehen – bei einer meist sensiblen Ataxie, Retinopathie und seltener Kardiomyopathie [4]. Das ­Ausmaß der degenerativen Prozesse lässt sich am besten mittels MRT-Bildgebung erfassen.

Neue Therapieansätze

Nach wie vor lässt sich die Erkrankung nicht kurativ behandeln. Insbesondere dienen physiotherapeutische, logopädische und sozialmedizinische Maßnahmen sowie die Versorgung mit Hilfsmitteln dem Erhalt bzw. der Aufrechterhaltung der noch bestehenden Funktionen und Mobilität. Hilfreiche Anlaufstellen für die Betroffenen und ihre Angehörigen sind Selbsthilfeorganisationen.

Aktuell werden verschiedene medikamentöse Therapieansätze in klinischen Studien evaluiert: Sie reichen von der Verbesserung der mitochondrialen Funktionen über die Modulation FXN-abhängiger metabolischer Signalwege bis hin zur FXN-Ersatztherapie und Eingriffen in die FXN-Genexpression (Abb.) [5]. Eine erste zugelassene medikamentöse Therapieoption besteht mit dem oral verfügbaren Omaveloxolon für Erwachsene und Jugendliche ab 16 Jahren. Es handelt sich um einen Aktivator des Transkriptionsfaktors Nrf2 (nuclear factor erythroid 2-related factor 2). Der dazugehörige Signalweg ist bei der FRDA dysreguliert und spielt für die zelluläre Redox-Homöostase eine zentrale Rolle [6]. In der zulassungsrelevanten, placebokontrollierten Phase-II-Studie ­MOXIe zeigten Omaveloxolon-behandelte Personen mit FRDA (n = 103) gegenüber Placebo eine statistisch signifikante Verbesserung der motorischen und bulbären Funktionen nach 48 Wochen [7]. Die bis dahin erreichte Verbesserung auf der „modified Friedreich’s Ataxia Rating Scale“ blieb auch in der offenen Verlängerungsstudie bestehen, an der sowohl Personen aus dem Verumarm (n = 34) als auch Personen aus dem ehemaligen Placeboarm (n = 39) ab Woche 52 teilnehmen konnten [8].

  1. Williams CT et al., StatPearls [Internet]. Treasure Island (FL): StatPearls Publishing; 2024
  2. Khinsari H et al., Gene Therapy 2016; 23: 846–56
  3. Lodi R et al., Free Radic Res 2002; 36: 461–6
  4. Consensus Guideline für klinisches Management der Friedreichs’ Ataxie, November 2014
  5. www.curefa.org/research/research-pipeline
  6. Schmidlin CJ et al., Free Radic Biol Med 2019; 134: 702–7
  7. Lynch DR et al., Ann Neurol 2021; 89: 212–25
  8. Lynch DR et al., Mov Disord 2023; 38: 313–20
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