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Allgemeinmedizin

Progerie

Vergreisung durch fehlgefaltetes Protein

Dr. rer. nat. Reinhard Merz

29.5.2023

Progerie ist eine genetisch bedingte Stoffwechselerkrankung. Betroffene zeigen bereits in sehr frühen Jahren typische körperliche Veränderungen des Alterns. Eine Schlüsselrolle in der Pathophysiologie spielt Progerin, eine fehlerhafte Version von Lamin A.

Progerie (engl. Progeria) bedeutet übersetzt „frühes Alter“. Es handelt sich um verschiedene genetisch bedingte Stoffwechselerkrankungen, die Krankheiten verursachen, die sich normalerweise erst im hohen Lebensalter manifestieren. Eine Progerie kann sowohl Kinder als auch junge Erwachsene betreffen.

Verschiedene Typen von Progerie

Das Hutchinson-Gilford-Progerie-Syndrom (Progerie Typ I, HGPS) beschreibt die Progerie im Kleinkindalter und ist eine extrem seltene Erkrankung, die Inzidenz liegt bei 1 : 20 Millionen [1]. Die Progeria Research Foundation (www.progeriaresearch.org) zählte Ende 2022 weltweit 212 Fälle in 51 Ländern. Bereits im ersten Lebensjahr beginnen die betroffenen Kinder zu altern, mit schneller Hautalterung, Haarausfall, Osteoporose, Gelenkveränderungen und Arteriosklerose. Dazu kommen Wachstumsstörungen und kraniofaziale Anomalien (Schädel-Disproportionalität, Makrozephalie). Die Betroffenen sterben in 90 % der Fälle an den Folgen von Arteriosklerose, jedoch in einem Durchschnittsalter von nur 14,5 Jahren. Trotz der erheblichen körperlichen Veränderungen sind diese Kinder mental nicht beeinträchtigt.

Als Werner-Syndrom bezeichnet man die Progerie im Erwachsenenalter (Progerie Typ II, Progeria adultorum). Die ersten Anzeichen treten im Jugend- oder frühen Erwachsenenalter auf. Dazu gehören neben Haarausfall und frühzeitigem Ergrauen ebenfalls typische Alterserscheinungen wie Osteoporose, Augenerkrankungen, Diabetes mellitus und überproportional häufig Krebserkrankungen. Die Inzidenz liegt bei 1 : 1 Million, die Lebenserwartung bei etwa 50 Jahren. Häufigste Todesursachen neben Tumoren sind Herzinfarkte oder Schlaganfälle. HGPS und Werner-Syndrom lassen sich aufgrund der Symp­tomatik und des unterschiedlichen Eintrittsalters klar differenzieren.

Progerin – ein fehlgefaltetes Lamin

HGPS wird durch eine Mutation in LMNA verursacht. Unter normalen Bedingungen kodiert das LMNA-Gen für ein Strukturprotein namens Prälamin A, das über eine Reihe von Verarbeitungsschritten zu ­Lamin A prozessiert wird [2]. Lamin A zählt zu den Laminen, die das Gerüst der Kernlamina bilden und so den Zellkern stabilisieren. Durch De-novo-­Mutation ­entsteht eine verkürzte und farnesylierte Form von Prälamin A und schließlich Progerin, eine fehlerhafte Version von Lamin A, die an der inneren Zellkernmembran akkumuliert. Daraus resultieren eine abnormale Kernmorphologie und ein desorganisiertes Heterochromatin. Die Patienten haben auch keine angemessenen DNA-Reparaturmechanismen und dadurch eine erhöhte genomische ­Instabilität [3].

Medikamentöse Therapie

Eine medikamentöse Behandlung der Progerie ist nur beschränkt möglich. Zugelassen ist Lonafarnib für Patienten ab einem Alter von 12 Monaten mit genetisch bestätigter HGPS-Diagnose. Der Farnesyl­transferase-Inhibitor sorgt dafür, dass das verkürzte Prälamin A gar nicht erst farnesyliert wird und sich damit weniger Progerin in der inneren Membran des Zellkerns sammelt. Dies soll zur Aufrechterhaltung der Zellintegrität und der normalen Funktion beitragen.

Die Wirksamkeit wurde in den Studien ProLon1 und ProLon2 untersucht. Beim letzten Nachbeobachtungszeitpunkt hatte sich die mittlere Lebensdauer von HGPS-Patienten, die mit Lonafarnib behandelt wurden, um durchschnittlich 4,3 Jahre erhöht [4]. Diese Zahl ist aufgrund der kleinen Zahl an Studienteilnehmern womöglich kritisch zu hinterfragen.

Gentherapie-Ansatz

Ein interessanter kurativer Ansatz könnte über LAP2α möglich sein, das im Wechselspiel mit Lamin A die Zellproliferation reguliert. Die Menge an LAP2α in den Zellen verringert sich in alternden Organismen.

Dass auch in Progerie-Zellen wesentlich weniger LAP2α vorkommt als in normalen Zellen, ist schon länger bekannt. Dabei spielt offensichtlich die extrazelluläre Matrix (ECM) eine wichtige Rolle. Hohe Konzentrationen von Progerin beeinflussen die Produktion von ECM-Proteinen, was eine gestörte Zell-Zell-Interaktion und langsamerere Proliferation bewirkt. Führt man Zellen mit Progerie LAP2α zu, normalisiert sich die ECM. Zellen können sich wieder normal vermehren und treten nicht in den zellulären Alterungsprozess ein.

Das könnte neue Wege zur Entwicklung von spezifischen Strategien zur Behandlung von Progerie ­eröffnen. Die CRISPR/Cas-Technologie ermöglicht die Genom-Editierung an bestimmten Loci und könnte sich als vielversprechender therapeutischer Ansatz für die Behandlung genetischer Störungen wie HGPS erweisen, bei denen dominant-negative Mutationen auftreten [5].

1 Hennekam RC, Amer J Med Genetics A 2006; 140: 2603–2624
2 Arancio W et al., Gerontology 2014; 60: 197–203
3 Sánchez-López A et al., Circulation 2021; 144: 1777–1794
4 ClinicalTrials.gov. Available from: https://clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT00425607
5 Rajeev M et al., Recent Pat Biotechnol 2021; 15: 266–285

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Bildnachweis: Scaffidi P et al., PLoS Biology 2005; 3: e395

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