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Recht

Videosprechstunde

Telemedizinische Behandlung in den Alltag integrieren

Katri Helena Lyck

22.7.2022

Was kann und darf Telemedizin in der Praxis? Mit der Zertifizierung der von der KV zugelassenen Telemedizin-Anbieter werden die rechtlichen Standards bei Qualitätssicherung und Patientenschutz erfüllt. Berufsrechtlich hat allerdings die persönliche Behandlung Vorrang. Bewerben darf man die Videosprechstunde bisher nicht.

 Die Vorteile telemedizinischer Behandlung per Videosprechstunde liegen auf der Hand. Auf dem Land oder in schwach versorgten Gebieten wird der Zugang zur Medizin erleichtert, es besteht keine Infektionsgefahr, lange Anfahrtswege und Wartezeiten entfallen und Termine können schneller vergeben werden. Ein weiterer Vorteil ist, dass viele Patienten sich in ihrer gewohnten Umgebung wohler fühlen. Arztbesuche stellen für manche Patienten Stresssituationen dar, sodass sie komplett gemieden werden, insbesondere, wenn Fragen auftauchen: Wann kann ich überhaupt einen Arzttermin einschieben? Wer übernimmt in der Zeit die Kinderbetreuung?

Nach einer Patientenumfrage (Datapuls 2021 von SocialWave) wollen 74,9 % der Patienten die Videosprechstunde bzw. Telemedizin vor allem aus einem Grund: um früher einen Termin zu erhalten. Überdies wünschen sich Patienten Empfehlungen von ihren Ärzten. Insbesondere junge und berufstätige Patienten wünschen sich mehr Flexibilität bei der Kommunikation. Sie möchten ihr Anliegen jederzeit und unabhängig von Engpässen vorbringen. Berufstätige, wenig mobile oder Patienten mit langem Anfahrtsweg wollen außerdem unnötige Praxisbesuche vermeiden. So stellt sich die Frage, wie telemedizinische Leistungen in den Alltag einer Praxis oder eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) integriert werden können – und damit in die vertragsärztliche Versorgung.

Rund 75 % der Patienten befürworten die Videosprechstunde vor allem aus einem Grund: um früher einen Termin zu erhalten.

Nutzen erkennen und innovative Wege gehen

Die ehemalige Hewlett Packard Chefin Carly Fiorina prägte im Jahr 2009 den Satz „Alles, was digitalisiert werden kann, wird digitalisiert“. Wir sind davon überzeugt, dass die Digitalisierung vor allem auch den Healthcare-Bereich nachhaltig prägen und verändern wird. Selbstverständlich ist in vielen Situationen ein persönlicher, physischer Arzt-Patienten-Kontakt unbedingt erforderlich. Allerdings existieren eben auch viele Möglichkeiten, die Telemedizin in das Behandlungsspektrum sinnvoll zu integrieren. Sei es im Zuge der

  • OP-Nachsorge,
  • der Aufklärung,
  • dem Monitoring bei chronischen Krankheiten,
  • der Überwachung,
  • der Vorsorge,
  • der OP-Robotik,
  • der Pflege-Robotik etc.

Deutschland ist bekannt für seinen Regelungsdschungel, der in vielen Teilen zur Rechtssicherheit beiträgt. Im Hinblick auf die Digitalisierung und den Digitalisierungsfortschritt in anderen Ländern sind einige der hiesigen Regelungen allerdings zu starr und schränken die Telemedizin zu stark ein. Die Aufhebung des Fernbehandlungsverbots im Jahr 2018 war ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Mit Wirkung zum 20. März 2021 ist eine aktualisierte Vereinbarung der Anlage 31b zum Bundesmantelvertrag Ärzte in Kraft getreten. Durch die Neufassung sind unter anderem die Anforderungen an die Zertifikate und die ausstellenden Stellen zum Nachweis von IT-Sicherheit und Datenschutz aktualisiert worden. Die zertifizierten Anbieter der Videosprechstunde erfüllen damit den höchsten rechtlich erforderlichen Standard.

Vertragsärztliche Versorgung

Im Zuge der vertragsärztlichen Versorgung sind für Ärzte vor allem die Regelungen des SGB V relevant. Zudem müssen Ärzte die jeweilige Berufsordnung ihres Kammerbezirks beachten. Aus diesen Bestimmungen geht hervor, dass die vertragsärztliche Versorgung an Ort und Stelle, also in der Praxis erbracht werden. In vertragsarztrechtlicher Hinsicht finden sich in der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) allerdings Ausnahmen von der Bindung an den Praxissitz, insbesondere die genehmigungsbedürftige Zweigpraxis (§ 24 Abs. 4 Ärzte-ZV) und die lediglich anzeigepflichtigen ausgelagerten Praxisräume (§ 24 Abs. 5 Ärzte-ZV) sind hier zu nennen. Welche Möglichkeit im konkreten sinnvoll ist, muss im Einzelnen geprüft werden und kommt auf die spezielle Praxissituation an. Ausgelagerte Praxisräume müssen sich z. B. gemäß § 24 Abs. 5 Ärzte-ZV in „räumlicher Nähe“ zum Vertragsarztsitz befinden. Diese Einschränkung kann unseres Erachtens allerdings nicht 1 : 1 auf telemedizinische Leistungen übertragen werden. Denn bei Videosprechstunden werden die Untersuchungs- und Behandlungsleistungen nicht physisch erbracht, sondern eben über das Internet allein im geschützten, virtuellen Raum vorgenommen. Es kann und darf keine Rolle spielen, von welchem Ort aus der Arzt die Videosprechstunde anbietet. Das gesetzlich verankerte Kriterium der räumlichen Nähe passt also nicht.

Berufsrecht der Ärzte

Mit Änderung der (Muster-)Berufsordnung Ärzte (MBO-Ä) wurde 2018 das Fernbehandlungsrecht liberalisiert. Der § 7 Abs. 4 MBO-Ä bietet seitdem die rechtliche Grundlage für Videosprechstunden unter den dort genannten Voraussetzungen. Es gilt der Grundsatz, dass der Arzt die Patienten in erster Linie im persönlichen Kontakt behandeln soll. Eine ausschließliche Beratung oder Behandlung über Kommunikationsmedien ist nur im Einzelfall vorgesehen, wenn dies ärztlich vertretbar ist und die erforderliche ärztliche Sorgfalt insbesondere durch die Art und Weise der Befunderhebung, Beratung, Behandlung sowie Dokumentation gewahrt wird. Eine weitere Einschränkung könnte von konservativen Vertretern in § 17 Abs. 1 MBO-Ä gesehen werden. Dieser regelt, dass die Ausübung ambulanter ärztlicher Tätigkeit grundsätzlich an die Niederlassung in einer Praxis (Praxissitz) gebunden ist.

Sinn und Zweck dieser Regelung sind der Patientenschutz und die Qualitätssicherung. Aufgrund der technischen Voraussetzungen, welche zertifizierte Videosprechstunden-Anbieter gewährleisten müssen, kann diese Qualitätssicherung auch durch die Telemedizin sichergestellt werden. Zum einen können digitale Aufzeichnungen gespeichert werden, zum anderen ist nicht erkennbar, warum die Qualitätssicherung und der Patientenschutz ausschließlich in den Praxisräumen des behandelnden Arztes zu gewährleisten sein soll. Überdies kann eine Videosprechstunde unter Einhaltung des Datenschutzes und der ärztlichen Schweigepflicht abgehalten werden. Mit Wirkung zum 20. März 2021 ist eine aktualisierte Vereinbarung der Anlage 31b zum Bundesmantelvertrag Ärzte in Kraft getreten.

Idealerweise betreut derselbe Arzt die jeweiligen Patienten in der Praxis und telemedizinisch.

Durch die Neufassung sind unter anderem die Anforderungen an die Zertifikate und die ausstellenden Stellen zum Nachweis von IT-Sicherheit und Datenschutz aktualisiert worden. Bei Ärzten kann das bedeuten, dass ein Teil der Rezeptausstellungen im Zuge einer digitalen Konsultation stattfinden. Auch können Fragen zu Nachsorge, Monitoring chronischer Krankheiten und anderen Themen in einer Online-Sprechstunde beantwortet werden. Idealerweise betreut derselbe Arzt den jeweiligen Patienten in der Praxis und bei telemedizinischen Konsultationen. Wünschenswert ist auch, die Online-Betreuungsangebote durch beispielsweise Ernährungsberatung oder Physiotherapie zu ergänzen.

Mit welchen Anbietern darf zusammengearbeitet werden?

Der Datenschutz und die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) müssen eingehalten werden, sodass im Arztbereich auf von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) zugelassene Anbietersysteme zurückgegriffen werden muss. Ärzte können Leistungen im Zuge der Telemedizin erst dann abrechnen, wenn sie dies ihrer Kassenärztlichen Vereinigung angezeigt haben. Bei der Vielzahl von Videosprechstunden-Anbietern sollte die Praxis auf Details achten, wie Terminverwaltung und -buchung, die bequeme Handhabung von Terminen, die Möglichkeit der Einladung der Patienten per SMS und/oder E-Mail, die Terminplanung durch Mitarbeiter sollte möglich sein; erforderlich ist der verschlüsselte Dokumentenaustausch. Für eine höhere Patientenorientierung sollte der zertifizierte Anbieter der Videosprechstunde darüber hinaus anbieten, dass die Patienten die Termine selbstständig buchen können, dass es einen Dolmetscherservice gibt, der Bildschirm geteilt werden kann und Gruppengespräche stattfinden können. Insbesondere Gruppengespräche erlauben es, dass der Partner oder nahe Verwandte an den Gesprächen teilnehmen können, obwohl er oder sie sich an einem anderen Ort befinden.

Schranken der Videosprechstunde

Die Formalitäten zur Abrechnung und Zulässigkeit von Videosprechstunden unterscheiden sich je nach Bundesland. In den vergangenen 24 Monaten haben sich die Rahmenbedingungen häufiger geändert, weshalb der Hinweis der unterschiedlichen Beurteilung zur Fernbehandlung bitte zu beachten ist. Wer für sich die Videosprechstunde anbieten möchte, um so die Praxis zukunftsfähig aufzustellen, sollte bei seiner jeweiligen Länderkammer anfragen.

Werbung für rein digitalen Arztbesuch ist unzulässig

Das bis vor Kurzem strenge Werbeverbot für Fernbehandlungen ist mit Einführung des Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) vom 9. Dezember 2019 gelockert worden, nachdem die Telemedizin zunehmend Einzug in die Patientenversorgung gefunden hatte. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in seiner jüngsten Entscheidung vom Dezember 2021 entschieden, dass die Werbung für eine umfassende, nicht auf bestimmte Krankheiten oder Beschwerden beschränkte ärztliche Primärversorgung (Diagnose, Therapieempfehlung, Krankschreibung) im Wege der Fernbehandlung gegen das Werbeverbot des § 9 HWG verstößt. Der BGH betont in diesem Urteil, dass mit den allgemein anerkannten fachlichen Standards nicht die Regelungen des für den behandelnden Arzt geltenden Berufsrechts gemeint seien. Der Begriff der allgemein anerkannten fachlichen Standards sei unter Rückgriff auf den entsprechenden Begriff in § 630a Abs. 2 BGB, der die Pflichten aus einem medizinischen Behandlungsvertrag regelt, und die dazu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze auszulegen. Danach könnten sich solche Standards auch erst im Lauf der Zeit entwickeln und etwa aus den Leitlinien medizinischer Fachgesellschaften oder den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) gemäß §§ 92, 136 SGB V ergeben. Damit hat der BGH auch die Tür für die Fernbehandlungswerbung geöffnet. Es ist nun an der Zeit, dass Fachgesellschaften und/oder der G-BA hier aktiv werden, um neue objektive fachliche Standards zu setzen. Somit wären dann neben der Zulässigkeit der Videosprechstunde als solches auch deren Werbung möglich.

Tipps im Umgang

Es ist wichtig zu verstehen, auf welche Weise die Telemedizin die Praxis effizienter macht. Ärzte können in ihrer Praxis analysieren wie Zeit gespart werden kann, ob z. B. die Anzahl nicht eingehaltener Termine reduziert werden kann oder mehr Patienten erreicht werden können.

Die Praxis sollte feste Zeiten für die Kommunikation einplanen, z. B. vor der Mittagspause oder vor Feierabend. Die Patienten sollten über das Angebot der Praxis informiert werden. Dies kann in der Praxis erfolgen oder auch durch Hinweise auf der Homepage. Nicht medizinische Anfragen wie Rezepte oder die Übermittlung von Befunden könnten an die Mitarbeiter delegiert werden. Praxisinhabern, die bisher mit der Videosprechstunde wenig Berührung hatten, ist zu empfehlen, dass sie teils kostenfreie Webinare besuchen, um sich so Sicherheit im Umgang mit der neuen Sprechstundenmöglichkeit anzueignen. Hier können sich Ärzte über die Möglichkeiten informieren und sich zeigen lassen, wie digitale Werkzeuge die Arbeit in der Praxis unterstützen.

Deutschland ist bekannt für seinen Regelungsdschungel, der in vielen Teilen zur Rechtssicherheit beiträgt. Im Hinblick auf die Digitalisierung und den Digitalisierungsfortschritt in anderen Ländern sind einige der hiesigen Regelungen allerdings zu starr und schränken die Telemedizin zu stark ein. Die Aufhebung des Fernbehandlungsverbots im Jahr 2018 war ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Es müssen allerdings noch viele folgen. Let´s talk digital.

Die Autorin

Katri Helena Lyck
Lyck+Pätzold
healthcare.recht
Im Atzelnest 5
61352 Bad Homburg

lyck@medizinanwaelte.de

Bildnachweis: privat

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