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Fokus Naturmedizin

Antibiotikaresistenzen

Pflanzliche Alternativen

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Bernhard Uehleke, Tobias Niedenthal, Dr. med. Rainer Stange

3.11.2020

Beim Thema Antibiotikaresistenzen wird selten an therapeutische Alternativen zu der im ambulanten Bereich immer noch zu häufigen Verschreibung von Antibiotika ohne klare Indikationsstellung gedacht. Der folgende Beitrag soll auf phytotherapeutische Alternativen hinweisen, die sich im Zusammenhang mit viral oder bakteriell bedingten Erkältungskrankheiten sowie bei unkomplizierten Harnwegsinfektionen bewährt haben.

Pflanzliche Antiinfektiva haben durchaus Vorteile, da sich bisher kaum Resistenzentwicklungen gegen die breit und vielfältigen keimhemmenden Inhaltsstoffe solcher Heilpflanzen mit ihrer multimodalen Wirkungsweise gezeigt haben. Die Vorbeugung und die symptomatische Therapie von Atemwegsinfektionen kann und sollte gezielt genutzt werden. Anstelle antibiotischer Therapien bei unkomplizierten Infektionen im Harntrakt kommen ebenfalls einige pflanzliche Alternativen in Betracht. Mit immunmodulierenden Phytotherapeutika kann man wenigstens kurzfristig eine Senkung der Suszeptibilität erwarten. Weiterhin vermögen breit keimhemmende Stoffgemische bestimmter Heilpflanzen Schleimhäute der Atemwege zu schützen und die Symptome zu lindern, was im Prinzip mit einer rascheren Heilung einhergeht. Nicht oder noch nicht indizierte Antibiotikatherapien während der viralen Phase einer Atemwegsinfektion haben das Problem der Resistenzentwicklung wesentlich verstärkt.

Phytotherapie bei Harnwegsinfektionen

Am häufigsten ist hier die unkomplizierte Blasenentzündung mit einer Lebenszeitprävalenz von 50 % bei Frauen und 12 % bei Männern sowie Rezidivraten von 25 % in den folgenden sechs bis zwölf Monaten. Diese ist in Deutschland die häufigste bakterielle Infektion, wird in etwa 80 % der Fälle durch den Keim Escherichia coli verursacht und führt zu etwa 60 % der ambulanten Verordnungen von Antibiotika. Neben dem spontanen Auftreten gibt es individuelle sowie definiert klinische Bedingungen, die das unmittelbar einmalige oder sogar wiederholte Auftreten einer Zystitis wahrscheinlich werden lassen. In diesen Situationen stellt sich naturgemäß die Frage nach Prävention, auch durch Phytotherapie. Die Komplikation einer Zystitis besteht insbesondere in der Aszension über die Ureteren mit konsekutiver Nephritis. Diese Situation gilt derzeit als klare Indikation für Antibiotika. Es ist bislang für kein Phytopharmakon nachgewiesen worden, dass es die Wahrscheinlichkeit für eine Aszension senken oder gar bei bereits bestehender Nephritis allein wirksam sein könnte. Als langfristige, nicht organschädigende Komplikation einer singulären, mehr noch der gehäuften Zystitis gilt die Ausbildung einer Reizblase. Auch für diese bezüglich der Lebensqualität der Betroffenen über Jahre bis Jahrzehnte bedeutsame Folge ist derzeit völlig offen, ob der akute Einsatz von Phytotherapeutika bzw. Antibiotika zu unterschiedlichen Langzeitergebnissen führt. Diskutiert wird, ob, ähnlich wie beim post-chemotherapeutischen Reizdarmsyndrom, die Auswirkungen eines Antibiotikums auf die physiologische Darmflora auch für die Harnblase (z. B. über das Homing-Phänomen) die Rückkehr zur symptomfreien Normalfunktion des Organs behindern. Zusätzlich weisen einige experimentelle Befunde in ausgewählten Situationen auf sinnvolle Kombinationen von Phytotherapeutika und Antibiotika hin, z. B. bei Keimen, die bezüglich Antibiotika ein schmales Wirksamkeitsspektrum bis hin zu Multiresistenzen aufweisen. Gängige Antibiotika scheitern mitunter physikalisch an den von Bakterien gebildeten Biofilmen. Für einige Phytopharmaka konnte bereits experimentell eine Hemmung bzw. Auflösung solcher Biofilme gezeigt werden. Danach wären die dann planktonischen Bakterien einem Antibiotikum wieder besser zugänglich. Der so naheliegende Ansatz zum simultanen Einsatz von Phytotherapeutika und Antibiotika ist für Kliniker sowohl aus der Naturheilkunde als auch aus der konventionellen Medizin neu, es liegen überhaupt keine klinischen Erfahrungen vor.

Prävention der Zystitis

Das Interesse an einer wirksamen Prävention von Harnwegsinfekten ist insbesondere für viele Risikogruppen sehr groß – etwa sonst gesunde Frauen, die häufig Blaseninfekte erfahren, aber auch Patienten mit Typ-2-Diabetes, Dauerkathetern oder vor Operationen an urologischen Organen. Die großfrüchtige Moosbeere (Vaccinium macrocarpon), ursprünglich nur in Nordamerika beheimatet und dort als Cranberry bezeichnet, gilt seit den 90er-Jahren des 20. Jahrhunderts als hilfreiches Mittel, zu dem es seitdem eine intensive klinische Forschung gibt. Die Gesamtbewertungen sind jedoch ernüchternd. Die zahlreichen Studien sind bezüglich Extrakten, Dosierungen, Patientengruppen, Vergleichsarmen und Zielparametern sehr heterogen, nur wenige belegen eine sinnvolle Prophylaxe, etwa bei prämenopausalen Frauen oder für rezidivierende – durch Bestrahlung induzierte – Zystitiden.

Therapie der Zystitis

In der Naturheilkunde schon immer empfohlen wurde eine Unterstützung der körpereigenen Abwehr durch die Durchspülungstherapie mit reichlich Flüssigkeitszufuhr in Kombination mit Pflanzen, die das Harnvolumen mehren sollen. In Erweiterung der gängigen diuretischen Wirkung ist hier auch eine aquaretische vorgeschlagen worden, die insbesondere elektrolytneutral abliefe. Viel genutzt werden Goldrute, Brennnesselblätter, Ackerschachtelhalm und ihre Kombinationen, vor allem in Tees. Darüber hinaus gelten als keimhemmende Heilpflanzen für die ableitenden Harnwege: Bärentraubenblätter, Bergenienblätter, Brunnenkressekraut, Buccoblätter, Gewürzsumachrinde, Kapuzinerkressekraut, Meerrettichwurzel, Preiselbeerblätter und Sandelholz sowie Cranberry. Ein Teil von ihnen wird als Arzneimittel angeboten, andere werden als Nahrungsergänzungsmittel vertrieben. Der Nachweis antiadhäsiver Eigenschaften gewinnt in letzter Zeit an Bedeutung, z. B. bei Meerrettich und Kapuzinerkresse wie auch bei exotischen Pflanzen wie Katzenbart. Nachdem schon in den 90er- Jahren die Erstellung einer positiven Monografie der Kommission E für die damals viel genutzten Bärentraubenblätter wegen Fragen zur Bioverfügbarkeit und Sicherheit der nicht gänzlich unproblematischen keimhemmenden Prinzipien scheiterte, wurden die Bärentraubenblätter aus den üblichen Nieren- und Blasentees entfernt, ohne dass eine geringere Wirksamkeit aufgefallen wäre. Weiteren Aufschluss über den Stellenwert von Bärentraubenblättern könnte eine große randomisierte Studie mit einem standardisierten Präparat geben. Hier werden Bärentrauben mit der Einmalgabe von 3 g Fosfomycin verglichen. Primäre Zielparameter sind der klinische Verlauf und die Häufigkeit weiterer Antibiotikaeinnahmen, um einen Einspareffekt durch Phytotherapie aufzeigen zu können. Weltweit hat sich das Interesse inzwischen eher Cranberry zugewandt, da Bärentraubenblätter außerhalb Mitteleuropas kaum bekannt sind. Für eine hier schon seit etwa 40 Jahren gebräuchliche Kombination aus Kapuzinerkresse und Meerrettichwurzel wurde eine multizentrische, doppelblinde, randomisierte Studie veröffentlicht, in der Patienten mit unkomplizierter Blasenentzündung entweder ein Standard-Antibiotikum (Cotrimoxazol) oder das pflanzliche Präparat erhielten. Die Symptomrückbildung verlief in beiden Armen etwa parallel, beim Phytotherapeutikum um etwa 1,3 Tage verzögert. Das biometrische Zielkriterium der Nichtunterlegenheit wurde nicht erreicht, vermutlich aufgrund der vorzeitigen Beendigung der Studie wegen Rekrutierungsschwierigkeiten gegenüber der projektierten zu kleiner Fallzahl.

Vorbeugung und Initialbehandlung von Atemwegsinfekten

Auch bei Atemwegsinfektionen lässt sich durch Phytopharmaka eine eventuell vorliegende Antibiotikaresistenz effektiv umgehen. Zur Vorbeugung von grippalen Atemwegserkrankungen mit pflanzlichen Arzneimitteln vor allem mit Echi-nacea purpurea sowie E. pallida und E. angustifolia, Ginseng und Eleutherococcus liegen zahlreiche Studien vor, wobei die Ergebnisse nicht einheitlich sind, wie entsprechende Reviews zeigen. Möglicherweise beruht die kontroverse Einschätzung auch auf der (auf angeblichen „Erfahrungen“ der 70er- und 80er-Jahre begründeten) Hoffnung, dass eine Immunstimulation über eine gesamte Erkältungssaison funktioniere. Leider scheint aber der Organismus bzw. das Immunsystem sich bereits nach wenigen Tagen oder Wochen an die Reizstoffe dieser Pflanzen zu „gewöhnen“. Für spezielle Situationen mit erhöhter Ansteckungsgefahr erscheint aber die kurzfristige Vorbeugung gegen auch aggressive virale Atemwegsinfektionen über wenige Tage als aussichtsreich und jedenfalls ohne Nachteile. Eine längerfristige „Abhärtung“ gegen Infektionserkrankungen ist durch regelmäßige Kneipp-Anwendungen mit Kaltwasserreizen und einer gesunden Lebensweise zu erreichen. Bei einer Erkältung ist eine lokale Unterkühlung der Extremitäten verbunden mit Minderdurchblutung im oberen Atemtrakt ein typisches Frühsymptom, oft verbunden mit Erschöpfung, Mattigkeit sowie Reizung in Nase oder Rachen. Gegen den weiteren Verlauf sind viel beworbene Mittel mit Vitamin C und Schmerzmittel selten nützlich (NSRA begünstigt eventuell sogar die Ausbreitung von Erregern noch). Warm-heiße Bäder mit durchblutungsfördernden ätherischen Ölen wie Thymian hingegen können unter günstigen Bedingungen den Infekt abwehren oder verkürzen. Dazu kann man mit heißen Tee­getränken (mit Honig) und Lutschpastillen aus Heilpflanzen wie Malve, Spitzwegerich, IsIändisch Moos, welche schleimbildende saure Mucopolysaccharide enthalten, die Schleimhäute lokal anregen und schützen. Diese legen sich als schützender Film über gereizte Schleimhäute im Rachen und lindern so physikalisch einen trockenen Reizhusten und Halsschmerzen sowie Heiserkeit.

Symptomlindernde Therapien nach Ausbruch

Anstelle von nicht indizierten Antibiotika, ist eine symptombezogene phytotherapeutische Behandlung vorzuziehen. Die genaue Anamnese fragt nach dem aktuellen Stand bezüglich der Hauptsymptome und berücksichtigt aus der Abfolge eventuell bereits abgeklungener Symptome den Etagenwechsel (Erstmanifestation im Sinu- bzw. rhinalen Bereich oder im Hals-Rachenraum, selten auch im Bronchialbereich). Bitterstoffe (auch in Efeu) und ätherische Öle, insbesondere Thymianöl, regen die Produktion von Schleim an sowie den Transport aus den Bronchien nach oben. Andere Heilpflanzen wie Kamille und gerbstoffhaltige Pflanzen wirken entzündungshemmend. Ätherische Öle mit ihren Terpen-Verbindungen sind aber zusätzlich breit keimhemmend, teilweise sogar virenhemmend. Viele sind darüber hinaus krampflösend und entschäumend und werden deswegen bei akuter und chronischer Bronchitis empfohlen. Weitere als Alternative zu Antibiotika empfohlene keimhemmende Pflanzen enthalten Senfölglykoside (Kapuzinerkresse, Meerrettich, Senf, Kohl) oder andere schwefelhaltige Verbindungen (Zwiebel, Knoblauch) sowie Saponine. Etliche Pflanzen wie Melisse, Umckaloabo oder Zistrose zeigen durchaus in vitro antivirale Eigenschaften. Bei überwiegend recht hohen Hemmkonzentrationen in der Petrischale konnte für einige pflanzliche Zubereitungen eine antiadhäsive Wirkung gegen bakterielle Filmbildung gezeigt werden. In Form von solchen Biofilmen widersetzen sich manche Bakterien einer antibiotischen Behandlung. Insgesamt bleibt bei allen Einteilungen nach vermeintlichen Wirkstoffen einer Heilpflanze und auch nach den Erkenntnissen zur Pharmakodynamik von einzelnen Inhaltsstoffen wie vom Gesamtextrakt deren Relevanz und deren Beitrag in der Klinik offen und spekulativ. Daher bedarf es nach wie vor weiterer Studien zur symptomlindernden Wirkung bei Atemwegserkrankungen in verschiedenen Phasen mit unterschiedlichen Symptomspektren, hervorgerufen durch unterschiedliche Erreger. Eine aktuelle Leitlinie zu akutem Husten lobt die Studienlage bezüglich einiger Phytopharmaka und empfiehlt Präparate aus Efeu, Myrtol, Pelargonium und Kombinationen aus Efeu und Thymian sowie Primeln und Thymian.

Der Autor

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Bernhard Uehleke
Charité – Universitätsmedizin Berlin und
Immanuel Krankenhaus, Abt. f. Naturheilkunde
Forschergruppe Klostermedizin Würzburg

b.uehleke@gmx.net

Der Autor

Tobias Niedenthal
Forschergruppe Klostermedizin 97072 Würzburg

niedenthal@klostermedizin.de

Der Autor

Dr. med. Rainer Stange
Charité – Universitätsmedizin Berlin und Immanuel Krankenhaus, Abt. f. Naturheilkunde
Vizepräsident der Gesellschaft für Phytotherapie e. V. (GPT)

rainer.stange@immanuelalbertinen.de

Literatur bei den Autoren

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