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Fokus Naturmedizin

Nährstoffmangel

Bei Senioren gezielt darauf Achten

Dr. phil. nat. Miriam Neuenfeldt

Mit dem Alter wird weniger Energie benötigt, während sich der Bedarf an Proteinen, Vitaminen und Mineralstoffen in vielen Fällen erhöht. Mangelernährung sowie Dehydration sind im Alter weitverbreitet. Defizite sollten rechtzeitig erkannt und adäquat behandelt werden, um Folgekomplikationen zu vermeiden.

Altersbedingte Stoffwechsel- und hormonelle Veränderungen führen zu einem Mehrbedarf an Nährstoffen bzw. zu Defiziten. Die Prävalenz für einen Nährstoffmangel steigt daher bei Älteren deutlich an. Von einer Mangelernährung sind schätzungsweise bis zu zwei Drittel der geriatrischen Patienten betroffen. So sind in Privathaushalten mehr als 40 %, in Pflegeheimen mehr als 60 % und in Rehakliniken etwa 90 % der Senioren mangelernährt.

Veränderungen mit dem Alter

Das häufige Auftreten von Mangelernährung im Alter hängt mit einer Vielzahl von Faktoren zusammen (Abb.). Neben den physiologischen Altersveränderungen haben auch soziale Aspekte eine große Bedeutung. Einschneidende Lebensereignisse wie schwere Erkrankungen, der Tod des Partners oder der Einzug in ein Altenheim können zu einer relativ einseitigen Auswahl von Lebensmitteln und zu einer verringerten Nahrungsaufnahme führen.

Mit dem Alter kommt es zur Degeneration von ­Seh-, Geschmacks- und Geruchssinneszellen. Lebensmittel werden daher eingeschränkt wahrgenommen und schmecken fade, wodurch weniger gegessen wird. Zudem treten Funktionsbeeinträchtigungen des Gastrointestinaltrakts auf. Dazu gehören u. a. eine veränderte Magenmotilität, eine Abnahme an Verdauungsenzymen und die Degeneration der Magenschleimhaut. Zwischen 30 und 50 % der über 65-Jährigen sind von chronisch-atrophischer Gastri­tis betroffen. Die einhergehende reduzierte Sekretion von Magensäure und Pepsinogen reduziert die Verdauung. Im fortgeschrittenen Stadium kommt es zu einem Mangel an Intrinsic-Faktor, der die Aufnahme von Vitamin B12 ermöglicht, und somit zu einem Vitamin-B12-Mangel.

Etwa ab dem 65. Lebensjahr nimmt die fettarme, stoffwechselaktive Körpermasse ab. Gleichzeitig steigt mit zunehmendem Alter der Körperfettanteil. Dadurch verringert sich der Energieverbrauch. So benötigt ein 75-Jähriger etwa 25 % weniger Energie als ein 25-Jähriger. Darüber hinaus tritt mit dem Alter ein Verlust an Calcium aus der Knochensubstanz auf.

Mit der Umstellung des Hormonhaushalts verringert sich bei Frauen ab den Wechseljahren auch der Grundumsatz deutlich. Die Aktivität von Sättigungshormonen ist bei beiden Geschlechtern im Alter erhöht. Dies führt zu einem länger anhaltenden Sättigungsgefühl.

Der typische geriatrische Patient ist über 65 Jahre alt, multimorbide und muss mehrere Medikamente einnehmen. Viele dieser Medikamente sind jedoch „Nährstoffräuber“ und können die Resorption und Verwertung von Mikronährstoffen erheblich beeinträchtigen (Tab.).

Folgen des alternden Darmmikrobioms

Auch eine Dysbiose im Darm und eine verringerte Darmbeweglichkeit können die Nährstoffaufnahme im Alter stören. Die Homöostase des Darmmikrobioms ist essenziell für die Gesundheit, denn die Mikroorganismen übernehmen vielfältige Funktionen, unter anderem:

• Synthese lebenswichtiger Vitamine wie Folsäure, B1, B2, B5, B6, B12 und K2

• Unterstützung der Verdauung

• Förderung der Darmperistaltik

• Produktion antiinflammatorischer kurzkettiger Fettsäuren

• Stimulation des Immunsystems

• Verdrängung von Krankheitserregern

• Produktion von Neurotransmittern

Gerät das Darmmikrobiom jedoch aus dem Gleichgewicht, steht dies mit vielen Erkrankungen und Nährstoffdefiziten in Zusammenhang, denn das  Mikrobiom hat eine entscheidende Rolle bei der Energiegewinnung und der Fettspeicherung. Bei mangelernährten Patienten ist das Mikrobiom im Vergleich zu Normalernährten deutlich verändert.

Mit zunehmendem Alter reduziert sich die Artenvielfalt im Darm, interindividuelle Variationen nehmen hingegen zu. Die veränderte Zusammensetzung der Darmmikro­organismen ist mit Gebrechlichkeit, Komorbiditäten, Entzündungsmarkern sowie dem Ernährungsstatus assoziiert. Dabei ist die alters­bedingte ­Modifikation des Mikrobioms abhängig vom Lebensort (Heim, Krankenhaus oder zu Hause) und der Ernährung. So fällt die Diversität der Bakterienbesiedlung bei Heimbewohnern niedriger aus als bei in der eigenen Wohnung lebenden Senioren. Je geringer die Diver­sität, desto stärker ausgeprägt ist die Gebrechlichkeit. ­Arzneimittel oder eine einseitige, faserarme Ernährung verringern die Vielfalt der Darmflora. Abhängig davon verändert sich der Gesund­heitszustand mit dem Alter. Dabei ist Mangel­ernährung ein bedeutender Risikofaktor für eine Dysbiose. Diese gilt es durch eine ausreichende Versorgung mit Proteinen und Ballaststoffen zu verhindern.

Regelmäßige Untersuchungen

Schätzungen zufolge haben 35 % der über 50-Jährigen mindestens ein Mikronährstoffdefizit. Im Allgemeinen fehlt es Älteren an den meisten Mikronährstoffen. Am häufigsten treten Defizite hinsichtlich B-Vitaminen (vor allem Folsäure und Vitamin B12), Vitamin D, Calcium, Magnesium sowie Spurenelementen (vor allem Eisen, Zink und Selen) und Proteinen auf.

Während ein Vitamin-D-Defizit ca. 50 % der gesunden Senioren betrifft, erhöht sich die Prävalenz bei geriatrischen Patienten mit einer Hüftfraktur auf über 80 %. Eine Überprüfung des Vitamin-D-Status ist daher bei über 65-Jährigen regelmäßig angeraten. Darüber hinaus kann davon ausgegangen werden, dass bis zu 43 % der Senioren von einem Vitamin-B12-Mangel betroffen sind. Die Zinkversorgung ist bei Älteren ebenfalls häufig ungenügend. Dies ist bedingt durch gesteigerte renale Verluste, eine beeinträchtigte Resorption, Veränderungen bei der zellulären Zinkaufnahme sowie den seltenen Verzehr von Zinkquellen wie Fleisch, Geflügel, Milch, Käse oder Vollkornprodukten. Zudem kann eine einseitige  Ernährung, die von einem geringen Obst- und Gemüseverzehr geprägt ist und kaum Fleisch oder Vollkornprodukte enthält, ein Vitamin-C-, Magnesium- oder Eisendefizit hervorrufen.

Generell sollten Senioren regelmäßig hinsichtlich einer Mangelernährung untersucht werden. Zur Diagnose hat sich die Anamnese mit einem standardisierten Fragebogen bewährt, z. B. das „Mini Nutritional ­Assessment“ (MNA) oder das „Subjective Global ­Assessment“ (SGA). Anthropometrische Daten wie Hautfaltendicke, Oberarm- und Wadenumfang oder Body-Mass-Index lassen das Ausmaß der Unter­­er­nährung erkennen. Körperliche Untersuchungen und bildgebende Verfahren können z. B. Schluckstörungen aufdecken, und mittels Labor­diagnostik können Mangelzustände nachgewiesen werden. Wichtige zu beobachtende Parameter sind Gesamteiweiß, Albumin, Transferrin, Hämoglobin, Lymphozyten, Harnstoff, Cholinesterase, Vitamine (v. a. B6, B12 und D), Elektrolyte sowie Zink. Geeignete Laborparameter für die Diagnose von Nährstoffdefiziten bei geriatri­schen ­Patienten sind zudem Homocystein, Selen, Omega-3-Index, Arachidon­säure (AA): Eicosapentaensäure (EPA)-Quotient, Eisen, Coenzym Q10, Lipidperoxidation (z. B. 8-iso-PGF2α), Superoxid­dismutase(SOD)-Aktivität, ­totale antioxidative Aktivität (TAC), Säure-Basen-Haushalt, HbA1c sowie das Lipidprofil.

Frühzeitig intervenieren

Auch die aktuelle ESPEN-Leitlinie empfiehlt, dass geriatrische Patienten routinemäßig hinsichtlich Mangelernährung untersucht werden sollten, um bestehende Risiken rechtzeitig zu erkennen. Vorbeugende sowie therapeutische Maßnahmen gegen eine Malnutrition sollen individuell an den Patienten angepasst werden, verständlich und Teil eines multi­modalen, interdisziplinären Konzeptes sein. Zeigen die Testergebnisse eine Mangelernährung und bestätigen Laboruntersuchungen spezifische Defizite, ist anhand des Ausmaßes abzuschätzen, ob eine Ernährungsumstellung ausreicht oder supplementiert werden muss. Bei einigen Defiziten genügt eine Ernährungsumstellung allein nicht. Bei nachgewiesenem Vitamin-B12-Mangel muss Cobalamin dauerhaft oral (100–1 000 µg/Tag) sowie ­pa­renteral (500–1 000 µg/Monat) substituiert werden.

Vitamin D wird anhand der 25-Hydroxy-Vitamin-D-Spiegel, die regelmäßig zu kontrollieren sind, oral substituiert. Zahlreiche randomisierte Interventionsstudien ergaben bei geriatrischen Patienten mit erhöhten Risiken für einen Vitamin-D-Mangel sowie für Stürze bzw. Frakturen eine signifikante Verringerung von Stürzen und Hüftfrakturen durch die Einnahme von 800–1 000 IE Vitamin D pro Tag. Eine prophylaktische Supplementierung mit Vitaminen wird nicht durch Studien gestützt. Sie sollte Patienten mit nachgewiesenen Defiziten vorbehalten bleiben.

Das Expertenstatement

Dr. med. Andreas Leischker
Chefarzt Klinik für Geriatrie
Krankenhaus Maria-Hilf
Somatische Kliniken und Zentren
47805 Krefeld

andreas.leischker@alexianer.de

Was substituiert werden sollte

„Am häufigsten fallen mir bei älteren Patienten ein Vitamin-B12- und ein Vitamin-D-Mangel auf. Viele ältere Menschen haben zudem einen Mangel an Speichereisen. Wir bestimmen daher bei allen geriatrischen Patienten den Vitamin-B12- und 25-Hydroxy-Vitamin-D-Spiegel. Zum Auffüllen der Nährstoffspeicher reicht bei ausgeprägten Mangelzuständen eine Ernährungsumstellung meistens nicht aus. Bei einem Defizit an Vitamin D wird mit einem oralen hochdosierten Präparat – 20 000 Einheiten – zunächst einmal pro Woche substituiert. Ein Vitamin-B12-Mangel ist bei geriatrischen Patienten meist durch eine Resorptionsstörung bedingt. Grundsätzlich ist auch bei Resorptionsstörungen eine orale Substitution mit hochdosierten Präparaten möglich. So erfolgt die Aufnahme von Vitamin B12 auch in geringem Ausmaß durch passive Diffusion. Durch eine parenterale – subkutane oder intramus­kuläre – Substitution gelingt es jedoch schneller, die entleerten Speicher aufzufüllen. Besonders bei neurologischen Manifestationen bevorzuge ich deshalb die parenterale Substitution. Bei Eisenmangel werden orale Präparate von älteren Patienten häufig nicht vertragen. In diesem Fall kann Eisen intravenös substituiert werden.“

Fazit:

Nicht nur altersbedingte physiologische Veränderungen stellen einen Risikofaktor für einen Nährstoffmangel dar. Zu berücksichtigen sind u. a. auch soziale Aspekte wie einschneidende Lebensereignisse, die zu einer verringerten und einseitigeren Nahrungsaufnahme führen können. Am häufigsten fehlt es Senioren an den Vitaminen B9, B12 und D sowie an Calcium, Magnesium, Eisen, Zink und Selen. Bei ausge­prägten Mangelzuständen ist eine Substitution indiziert.

Die Autorin

Dr. phil. nat. Miriam Neuenfeldt
Wissenschaftliche
Autorin & Referentin
18439 Stralsund

info@phar-med.de
www.phar-med.de

Literatur bei der Autorin

Bildnachweis: privat

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