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Dermatologie

Chronischer Pruritus

Therapien zur Juckreizlinderung

PD Dr. Dr. med. Andreas E. Kremer

4.12.2020

Von chronischem Pruritus wird gesprochen, wenn das Symptom Juckreiz mehr als sechs Wochen persistiert. Rund 15 % der Bevölkerung in Deutschland sind betroffen. Die Global Burden of Diseases Study zählt chronischen Pruritus zu den 50 zentralen und stark belastenden Erkrankungen.

Chronischer Pruritus kann mild und tolerabel sein, aber auch moderate bis schwere Formen annehmen. Für viele Patienten ist es ein stark belastendes Symptom, das ihre Lebensqualität deutlich vermindern kann. Viele leiden an Schlafstörungen, die zu Abgeschlagenheit und Tagesmüdigkeit mit deutlich verminderter Leistungsfähigkeit führen. Neben diesen physischen Folgen stellen der Drang zum ständigen Kratzen und dadurch bedingte Kratz­läsionen eine Stigmatisierung mit psychischer Belastung dar. Mitunter kann dies schwere Depressionen bis hin zur Suizidalität auslösen. Im Gegensatz zum Pruritus bei Hauterkrankungen liegen bei Patienten mit systemischen, neurologischen oder psychiatrischen Erkrankungen keine primären Hautveränderungen vor. Allerdings kann intensives Kratzen zu sekundären Veränderungen wie Hautabschürfungen und kleinen Exkoriationen, Blutungen und Krusten sowie bei lang dauerndem Kratzen zu Prurigo nodularis und flächigen oder papulösen Lichenifikationen führen. Diese Sekundärschäden heilen oft mit Hyper- oder Depigmentierung oder teils Narbenbildung ab. Dies kann die Unterscheidung der verschiedenen Entitäten deutlich erschweren. Fortwährendes oder starkes Kratzen schädigt die Haut, wodurch Entzündungen aufrechterhalten oder verstärkt werden, die wiederum Pruritus fördern. Somit entsteht ein Circulus vitiosus (Juck-Kratz-Zirkel), der nicht selten in einem täglichen Ritual mit automatischem oder unbewusstem Kratzverhalten mündet. Daneben kann ständiges Jucken und Kratzen zusätzlich zu peripherer und zentraler neuronaler Sensibilisierung und Chronifizierung des Pruritus beitragen.

Einteilung in sechs Hauptkategorien

Erkrankungen, die mit Pruritus assoziiert sind, können in sechs Hauptkategorien eingeteilt werden:

• dermatologische Ursachen wie atopische Dermatitis, Kontaktdermatitis, Psoriasis vulgaris, Urtikaria, Lichen ruber, Candidiasis (> Mykosen) und Skabies;
• systemische Ursachen wie chronische Niereninsuffizienz, hepatobiliäre und lymphoproliferative Krankheitsbilder, Diabetes mellitus, Hypo- und Hyperthyreose;
• neuropathische Ursachen wie Notalgia paraesthetica (sensorische Neuropathie mit segmentalem Juckreiz, meist zwischen den Schulterblättern lokalisiert), brachioradialer Pruritus (cervikale Nervenkompression, betroffen ist sensibler Endast des N. radialis), post-herpetische Neuralgien und small-fiber Neuropathie;
• psychiatrische Ursachen wie Depression, Zoenästhesie (juckende Wahrnehmungen bei psychischen Störungen) und schizophrene Psychosen;
• multifaktorielle Ursachen und
• Pruritus unbekannter Ursache (PUO).

Zusätzlich können zahlreiche Medikamente und freiverkäufliche Präparate chronischen Pruritus auslösen. Als klassische Beispiele seien Antibiotika wie Penicilline, Analgetika wie Opioide oder Morphine, Anabolika oder das Malariamittel Chloroquin genannt.

Interaktion von Schmerz- und Juckreiz

Bis vor etwa 20 Jahren wurde Pruritus als kleiner Bruder des Schmerzes angesehen. Man vermutete, dass eine schwache Aktivierung sensorischer Nervenfasern zu Pruritus, eine stärkere Aktivierung zu Schmerz führt. Erst mit der Identifizierung Histamin-spezifischer sensorischer Neurone beim Menschen im Jahr 1997 fand ein Umdenken statt. Seither konnten zahlreiche molekulare Mechanismen im Tiermodell und im Menschen identifiziert werden. Wenngleich es wahrscheinlich für Juckreizsignale spezialisierte Neurone gibt, existiert eine enge Interaktion zwischen Schmerz- und Juckfasern. Zudem findet eine enge Kommunikation zwischen den Nervenendigungen in der Haut und den dort lokalisierten Zellen wie Keratinozyten, Mastzellen oder anderen Immunzellen statt. Die Epidermis spielt dabei eine zentrale Rolle, wobei die innervierenden Neuriten, die von der Dermis aus die Basalmembran zur Epidermis durchdringen, sehr bedeutend sind. Der vor allem aus Mastzellen stammende Mediator Histamin spielt dabei lediglich bei der Urtikaria eine Rolle. Bei der Interaktion kutaner Nervenendigungen und umliegender Zellen müssen auch Zytokine und Chemokine sowie deren Rezeptoren mit einbezogen werden. In jüngster Zeit haben diese Mediatoren an Bedeutung gewonnen – nicht nur bei der Auslösung von Pruritus, sondern auch bei Entzündungsreaktionen, wie z. B. die Interleukine (IL) 4, 13 und 31 bei atopischer Dermatitis. Daneben konnten bei hepatobiliären Erkrankungen Autotaxin und das Produkt Lysophosphatidsäure (LPA) als mögliche Mediatoren identifiziert werden, wobei Autotaxinspiegel eine Korrelation mit der Juckreizintensität und dem Therapieansprechen aufwiesen. Bei zahlreichen anderen mit Pruritus assoziierten Erkrankungen sind die Mediatoren aber immer noch unbekannt. Zielgerichtete antiinflammatorische Therapieansätze ermöglichen es, gezielt Zytokine oder deren Rezeptoren zu hemmen. Dupilumab, ein monoklonaler Antikörper gegen IL-4/13, ist bereits für die atopische Dermatitis zugelassen. Andere monoklonale Antikörper wie Tralokinumab (Anti-IL-13) und Nemolizumab (Anti-IL-31) werden aktuell für die Indikationen atopische Dermatitis sowie chronische Prurigo getestet. Auch Antikörper gegen NGF, die ursprünglich gegen chronische Schmerzen, zum Beispiel bei Osteoarthritis, entwickelt wurden, sind für entzündliche pruritische Erkrankungen in Erprobung.

Klinische Einteilung des chronisches Pruritus

Vier Bausteine der Therapie

Die Komplexität des chronischen Pruritus mit unterschiedlichen Ursachen, Patientenkollektiven und Komorbiditäten ermöglicht keine einheitliche Therapieempfehlung. Die therapeutischen Optionen sollten individuell auf den einzelnen Patienten abgestimmt werden. Da bisher kaum Medikamente speziell für die Behandlung des chronischen Pruritus zugelassen sind, handelt es sich meistens um einen Off-Label-Einsatz. Je nach Grunderkrankung können die therapeutischen Empfehlungen stark variieren. Unabhängig von der medikamentösen Therapie sollten alle Patienten über allgemeine, Pruritus lindernde Maßnahmen informiert werden. Dabei gilt es vor allem, trockene Haut zu vermeiden und die Hautbarriere zu stärken. Das therapeutische Vorgehen basiert auf vier wesentlichen Bausteinen:

• allgemeine therapeutische Maßnahmen
• ursächlich angepasste Therapie
• symptomatische topische Therapie
• symptomatische systemische Therapie

Allgemeine Maßnahmen

Es gibt zahlreiche allgemeine Empfehlungen zur Linderung des Pruritus. Patienten sollten alles meiden, was zu Hauttrockenheit führt. Hierzu zählen häufiges Waschen oder Baden, trockenes Klima oder Hitze, Saunagänge und alkoholische Umschläge. Daneben sind Reizstoffe wie Tierwolle, Umschläge mit Rivanol, Kamille oder Teebaumöl, Anspannung, negativer Stress, größere Mengen heißer Getränke oder Alkohol, stark gewürztes oder scharfes Essen zu meiden. Die Patienten sollten sich mit milden nicht-alkalischen Seifen, rückfettenden Waschsyndets oder Dusch- und Badeölen pflegen. Das Badewasser sollte nur lauwarm sein, die Badezeit maximal 20 Minuten betragen und die Haut im Anschluss eventuell kalt abgebraust werden. Nach Wasserkontakt möglichst nur abtupfen und nicht reiben, um eine vorgeschädigte Haut nicht weiter zu verletzen. Patienten sollten weiche lockere Kleidung tragen, am besten aus reiner Baumwolle. Die Fingernägel sollten regelmäßig gekürzt werden, um Kratzläsionen zu minimieren (s. Abb. 2). Eine rückfettende topische Basistherapie entsprechend dem Hauttyp ist mindestens einmal täglich empfehlenswert, insbesondere nach jedem Duschen oder Baden. Neben kühlen oder feuchten Umschlägen können Harnstoff-, Kampfer-, Menthol-, Chloralhydrat- oder Polidocanol-haltige Cremes, Lotionen oder Sprays empfohlen werden.

Ursächlich angepasste Therapie

Gelingt es, die zugrunde liegende Erkrankung oder Co-Faktoren zu identifizieren, die den Pruritus aufrechterhalten, sollte eine spezifische Behandlung der Grunderkrankung erfolgen. Deren effektive Therapie lindert häufig, aber nicht immer den chronischen Pruritus. Bei anhaltenden Beschwerden ist zusätzlich eine symptomatische Therapie erforderlich.

Symptomatische topische Therapie

Die topische Behandlung der juckenden Haut stellt einen wesentlichen Bestandteil der Therapie dar. Da insbesondere trockene Haut einen Pruritus verstärken kann, sollte die Haut täglich mit rückfettenden und rehydratisierenden Basiscremes oder Salben gepflegt werden. Der Fettgehalt sollte an den Hauttyp angepasst sein. Bei steroidresponsiven Dermatosen oder bei sekundären entzündlichen Kratzläsionen werden topische Glucocorticoide empfohlen. Alternativ kann erwogen werden, in diesen Situationen auch Calcineurin-Inhibitoren wie Tacrolimus oder Pimecrolimus topisch zu applizieren. Der topische Phosphodiesterase (PDE)-4-Inhibitor Crisaborol wurde von der FDA bereits zur Behandlung des atopischen Ekzems zugelassen. Weitere PDE-4-Inhibitoren befinden sich in klinischen Studien. Daneben können topische Behandlungen mit Zusatzstoffen wie kühlendem Menthol, Harnstoff, Kampfer, Chloralhydrat, Polidocanol sowie klassische Lokalanästhetika wie Lidocain, Benzocain oder Prilocain den Juckreiz lindern – leider meist nur kurzfristig.

Individueller Therapieplan bei chronischem Pruritus - topisch, allgemein, systemisch

Symptomatische systemische Therapie

Viele Patienten benötigen neben Basistherapie und topischer Behandlung zusätzlich eine systemische antipruriginöse Therapie. Nicht-sedierende Antihistaminika werden häufig als erste Wahl eingesetzt, wenngleich die Datenlage extrem dürftig und der Nutzen oftmals nicht gesichert oder nur sehr gering ist. Lediglich bei der Urtikaria stellen Antihistaminika den Goldstandard dar. Spricht der Pruritus bei Patienten mit Urtikaria nicht auf die Standarddosis an, sollte Off-Label eine Höherdosierung bis zur vierfachen Tagesdosis erfolgen. Auf sedierende Antihistaminika sollte generell verzichtet werden, da diese ein schlechteres Sicherheitsprofil haben, die oftmals bestehende Fatigue-Symptomatik mit Tagesmüdigkeit noch verstärken können und der antipruritische Effekt nicht größer ist als bei nicht-sedierenden Antihistaminika. Ebenfalls sollten systemische Glucocorticoide nicht oder lediglich als Kurzzeitbehandlung bei schwerem chronischen Pruritus, starkem Leidensdruck und entzündlichen Hautveränderungen eingesetzt werden. Zu den empfohlenen Medikamenten für die systemische Therapie zählen Antikonvulsiva (Gabapentinoide), Antidepressiva, Opioidrezeptor-Antagonisten und die UV-Therapie. Dabei können die Antikonvulsiva und Calciumkanalblocker Gabapentin und Pregabalin für die Behandlung des nephrogenen und neuropathischen Pruritus am stärksten empfohlen werden (s. Tab., S. 20). Aber auch bei zahlreichen anderen Ursachen sind sie hilfreich. Bei den Antidepressiva werden vor allem die selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) zur Therapie des chronischen Pruritus, zum Beispiel bei hämatologischen oder hepatobiliären Erkrankungen, mit mildem Erfolg eingesetzt. Dagegen werden Mirtazapin und Doxepin nur eingeschränkt empfohlen. Der μ-Opioidrezeptor-Antagonist Naltrexon wird als Drittlinientherapie zur Behandlung des cholestatischen Pruritus empfohlen. Bei stationären Patienten mit therapierefraktärem Pruritus jeglicher Genese kann eine Naloxon-Infusionstherapie erwogen werden. Die UV-Phototherapie ist insbesondere bei inflammatorischen Hauterkrankungen wie dem atopischen Ekzem oder der Psoriasis vulgaris wirksam. Allerdings bestehen für fast alle Entitäten des chronischen Pruritus Fallserien oder Fallberichte von deutlichen positiven Effekten der UV-Phototherapie. Die Tabelle fasst aktuell etablierte Medikamentenklassen für verschiedene Indikationen zusammen.

Neuartige antipruritische Therapien

Das bessere pathophysiologische Verständnis hat in den vergangenen Jahren zur Entwicklung zahl­rei­cher neuer zielgerichteter Therapieoptionen geführt. Viele dieser neuen Substanzen und Substanzklassen werden aktuell in klinischen Studien untersucht. Dazu gehören Neurokinin-1-Rezeptor-Antagonisten (z. B. Serlopitant, Tradipitant), ĸ-Opioid-Rezeptor-Agonisten (z. B. Difelikefalin, Asimadoline), Interleukin-Antagonisten (z. B. Tralokinumab, Nemolizumab), ileal bile acid transporter (IBAT)-Inhibitoren (z. B. Linerixibat, Maralixibat) und Januskinase-Inhibitoren (z. B. Tofacitinib, Ruxolitinib). Gut definierte, randomisierte, placebokontrollierte, klinische Stu­dien werden zeigen, welche Medikamente für welche Indikation am besten geeignet sind. Möglicherweise stehen in den kommenden Jahren zahlreiche neue kausale Therapien für das quälende Symptom Pruritus zur Verfügung.

Der Autor

PD Dr. Dr. med. Andreas E. Kremer, MHBA
Oberarzt der Medizinischen Klinik 1
Stv. Leiter der Hepatologie
Arbeitsgruppenleiter
Medizinische Klinik 1
Universitätsklinikum Erlangen

andreas.kremer@uk-erlangen.de

Literatur beim Autor

Bildnachweis: artvea (iStockphoto); privat

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